[ Zurück ]

Der Chauffleur

25.02.2004

Bitte vorne einsteigen, heißt es bei der BVG seit drei Monaten in Spandau. Neues Busfahrerprofil
Die BVG macht den Tag zur Nacht. Seit fast drei Monaten nun schon. Das Berliner Fuhrunternehmen mit dem Drang zu Innovationen wandelt sich gerade zum modernen Servicedienstleister im Personentransport. Solch ein Betrieb arbeitet mit Kostencontrolling. Und Controller haben die BVG darauf gebracht, das Kunden im Bereich Bus nicht unbedingt für Leistung zahlen, weil sie ohne Vorzeigepflicht des Tickets "hinten" einsteigen können.

Deshalb hat die BVG die ohnehin bestehende Doppelbelastung der Busfahrer auch tagsüber erhöht. Früher waren sie Chauffeure und Kassierer. Dank des neuen Multitaskings sind sie auch noch Kontrolleure - sitzende Türsteher sozusagen. Zumindest in Spandau, um Spandau, und um Spandau herum gilt auf 22 Linien: "Bitte vorne einsteigen." Auch vor 20 Uhr. Damit ist die BVG wieder beim Stand von vor 1994 angelangt. Auch damals durften die Berliner, englischen Schulkindern gleich, am Vordereingang Schlange stehen, um Tickets zu kaufen oder gekaufte vorzuzeigen.

Die Fahrer freuen sich über ihre neue Dreifachbelastung, berichtet Thomas Elstermann, Vorstandsmitglied im Gesamtpersonalrat mit Zuständigkeit für den Omnibusbereich. Zum einen, weil den Schwarzfahrern das Handwerk gelegt wird - was laut Elstermann "etwa 10 Prozent Einnahmesteigerung" bedeute. Zum anderen, weil professionelle Schleuserbanden nicht länger Döner und Curry-Wurst am Chauffeur-Kassierer vorbei in den Bus schmuggeln können. Die Fahrzeuge seien sauberer, fast schon autorücksitzrein. Und das freut das Putzpersonal.

Nicht ganz so erfreut ist Matthias Horth vom Fahrgastverband IGEB. Fünf bis sieben Minuten Verspätung bringe die neue Regelung auf manchen Linien mit sich - des Schlange Stehens "im Gänsemarsch" wegen. Außerdem sind ihm Verteilungsprobleme aufgefallen. Der BVG-Kunde müsste, um Sitzplätze zu finden, den ganzen Gang durchqueren. Er träfe dabei auf die Mutter, die regelwidrig hinten eingestiegen ist, weil ihr Kinderwagen vorne nicht reinpasst, und die sich nun den Weg zum Kontrolleur-Chauffeur bahnt, um ihren Einstieg nachträglich zu legitimieren. Der Fahrgast hat aber keine Lust auf Bewegung und bleibt einfach stehen. Die Folge: vorne Verstopfung, hinten ineffiziente Sitzplatzauslastung. In langen Gelenkbussen sieht der ohnehin dreifach belastete Fahrer vorne nicht, dass hinten alles frei ist, und hält an manchen Haltestellen einfach nicht mehr - wegen Überfüllung.

Für Kinderwagen Schiebende fordert Horth eine Befreiung von der Vorzeigepflicht. Das jedoch könnte Schwarzfahrern Tür und Tor öffnen, wenn sie sich fortan mit Kinderwagenattrappen tarnten. Es käme zur Totalüberlastung. Eigentlich wären also Ausweise, die die mütterliche Vorzeigebefreiung dokumentieren, notwendig. Jene müssten in Großdruckbuchstaben verfasst sein, damit die Fahrer sie durch den Rückspiegel erkennen und abnicken können.

Mit derart Diffizilem wird sich die BVG noch beschäftigen müssen. Ende Februar läuft das Projekt mit den BVG-Piloten erst einmal aus. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass der Spandauer Pilot irgendwann auf ganz Berlin ausstrahlt. Vorher allerdings, sagt Pressesprecherin Hella Dobrowsky, werde intern ausgewertet, "bevor man die Presse wild macht". Die Presse jedoch ist schon wild genug. Die BVG wolle die Regelung in Spandau bis auf weiteres beibehalten, meldet die Berliner Zeitung. Stimmt gar nicht, kontert Dobrowsky. In knapp zwei Wochen sei wie geplant Schluss. Fürs Erste. Bis dahin können Interessierte vom Bahnhof Zoo aus in die Spandauer Zukunft fahren: mit der Linie 149 etwa.

Autor/Agentur: Johannes Gernert
Quelle: TAZ
Medium: Tageszeitung
[ Zurück ]