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So soll der Berliner Stadtverkehr der Zukunft aussehen

12.02.2017

In einem Jahrzehnt wird Berlin vier Millionen Einwohner haben. Wie bleibt die Stadt mobil und wie sieht der Verkehr der Zukunft aus?
Alle paar Minuten rollt ein Bus heran, spuckt Fahrgäste aus, nimmt neue Reisende auf. Auch Sabine Kannemann ist darunter. Regelmäßig besucht die Altenpflegerein ihre Schwester im Märkischen Viertel. Doch am U-Bahnhof Wittenau ist sie stets aufs Neue verwirrt. "Hier fahren so viele Busse ab, irgendwie weiß ich nie, welchen ich nehmen soll." Für Sabine Kannemann ist klar: Würde die U8 von der Endstation Wittenau weiter ins Märkische Viertel fahren, wäre das für viele Bewohner deutlich komfortabler.

Spätestens 2030 wird Berlin Prognosen zufolge die Vier-Millionen-Einwohner-Grenze knacken. Diese Entwicklung wirft viele Fragen auf. Eine steht auf der Liste ganz oben: Wie wird der Stadtverkehr der Zukunft aussehen? Politiker, Stadtplaner und Umweltschützer sind sich weitgehend einig, dass es gute Angebote bei Bus und Bahn geben muss, damit die Stadt nicht in Abgasschwaden erstickt.

Bei der Frage, wie Ortsteile und Wohnquartiere in der wachsenden Stadt besser vernetzt werden könnten, fällt schnell der Name Märkisches Viertel. In den letzten zehn Jahren stieg die Zahl der Einwohner dort um rund ein Fünftel, und noch viel länger wünschen diese sich eine bessere Anbindung an den öffentliche Nahverkehr. Elf verschiedene Buslinien rollen durch die Hochhaussieldung im Osten Reinickendorfs, einige davon wären obsolet, wenn es nur diese Verlängerung der U-Bahn gäbe, ist auf der Straße oft zu hören. "Vor dem Hintergrund der wachsenden Stadt ist es nicht nur wichtig, neu entstehende Gebiete verkehrlich zu erschließen, sondern auch bestehende Wohnquartiere verkehrlich besser anzubinden", erklärte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) noch im vergangenen Frühling mit Hinblick auf eine mögliche Verlängerung der U8.

Diese Idee ist nur eine von vielen. Auch der Ausbau der U2 in Pankow und in Spandau oder eine Verlängerung der U4 von Innsbrucker Platz bis Friedenau stehen seit Langem auf der Wunschliste vieler Berliner. Doch ein Blick in den Koalitionsvertrag von SPD, Linke und Grünen verrät, wohin die Reise gehen soll. Wirklich konkret wird es dort nur bei der Straßenbahn. Das Verkehrsmittel, das Ende der 60er-Jahre aus dem Westteil der Stadt vollständig verschwand, ist heute das Mittel der Wahl, mit dem der Senat die Verkehrsprobleme lösen will.

"Mit der Tram schafft man in der wachsenden Stadt die schnellste Verlagerung vom Auto auf ein ökologisches Verkehrsmittel", befürwortet Jens Wieseke vom Fahrgastverband Igeb diese Strategie. Im Vergleich zu einer neuen U-Bahnstrecke würde eine neue Tramlinie nur ein Zehntel an Investitionen kosten und die Umsetzung sei deutlich schneller. "Sogar bei den langsamen Berliner Bedingungen."

Vier neue Tram-Linien sollen in Betrieb gehen

Und so stehen etliche neue Linien auf dem Programm, insgesamt 14, von denen fünf bereits vom Vorgängersenat angeschoben worden sind. Am weitesten gediehen sind demnach die Pläne für Treptow-Köpenick. Dort wird am Lückenschluss zwischen der Endhaltestelle Karl-Ziegler-Straße in Adlershof und dem S-Bahnhof Schöneweide gefeilt. Ziel ist, die Wissenschaftsstadt Adlershof (Wista) besser an die umliegenden Wohngebiete anzubinden. Auch die Verlängerung der Tram vom Hauptbahnhof bis zum U-Bahnhof Turmstraße befindet sich in der "detaillierten Endabstimmung", sagt Verkehrsstaatssekretär Jens-Holger Kirchner (Grüne). Bei beiden Vorhaben soll das Planfeststellungsverfahren im Sommer starten, bis Baubeginn vergehen dann aber noch mal 18 bis 24 Monate.

Am Ostkreuz, wo eine neue Tram-Strecke von Wühlischstraße bis Marktstraße den wichtigen Umsteigebahnhof anbinden soll, sind vorgezogene Arbeiten, etwa die Verlegung einer Fernwärmeleitung, für Anfang nächsten Jahres vorgesehen. Etwas komplizierter ist es in Mahlsdorf, wo der Streckenabschnitt von der Station Rahnsdorfer Straße bis zum S-Bahnhof eigentlich zweigleisig werden soll, um einen Zehn-Minuten-Takt zum künftigen Regionalbahnhalt zu gewährleisten. Noch konnten sich Senat und Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit den Anwohnern nicht über die Trassenführung einigen.

Alle genannten Tram-Projekte sollen laut Koalition noch in dieser Legislaturperiode, sprich spätestens 2021 in Betrieb gehen. Bei anderen Vorhaben soll die Planung abgeschlossen sein und mit dem Bau begonnen werden können. Dazu gehören die Verlängerung der Tram von Turmstraße bis Mierendorffplatz oder von Warschauer Straße bis Hermannplatz. "Wenn wir uns anstrengen, ist das realistisch", sagt Kirchner. Schwer würde es, wenn Anwohner klagen. "Dann kommen schnell noch mal zwei Jahre hinzu." Deshalb der permanente Dialog.

Probleme bei der Nord-Süd-Trasse

Der neue Senat wird sich daran messen lassen müssen, wie schnell er die angekündigten Verbesserungen auf der Schiene umsetzt. Denn schon die wenigen, aktuell im Bau befindlichen Projekte haben große Probleme, die Zielvorgaben einzuhalten. So sollte bei der U-Bahn auf der neuen, nur 2,2 Kilometer langen Strecke zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor schon 2019 die ersten Züge rollen. Wegen verschiedener Bauprobleme ist inzwischen von einer Betriebsaufnahme Ende 2020 die Rede. Als nächstes stehen Arbeiten am künftigen Bahnhof Museumsinsel an. Eine komplizierte Angelegenheit, da die Station teils unter Wasser liegt. "Wenn dort etwas Unvorhergesehenes passiert, könnte sich das auf den Termin der Fertigstellung auswirken", sagt eine Sprecherin. Das würde wiederum bedeuten, dass sich der Baubeginn für die geplante Tram-Strecke von Alexanderplatz bis zum Kulturforum (und langfristig bis Rathaus Steglitz) verzögern wird. Hier soll es erst losgehen, wenn der U5-Lückenschluss abgeschlossen ist.

Noch ungewisser ist der Zeithorizont bei der aktuell einzigen Neubaustrecke für die Berliner S-Bahn. Unter dem Projektnamen "S21" wird bereits seit dem Jahr 2000 an einer zweiter Nord-Süd-Trasse gebaut, die vom nördlichen S-Bahnring über den Hauptbahnhof und den Bahnhof Potsdamer Platz bis zum Bahnhof Südkreuz führen soll. Ursprünglich sollte der erste Abschnitt vom Nordring bis Hauptbahnhof 2015 in Betrieb gehen, später war von 2017 und 2019 die Rede. Neue Probleme, vor allem verursacht durch das hochstehende Grundwasser, sorgen für Spekulationen, dass die Stummelstrecke erst 2020 in Betrieb geht. Weder der Bauherr, die Deutsche Bahn, noch der Senat wollen sich derzeit offiziell auf einen Termin festlegen.

Das Projekt macht auch deutlich, wie die langwierigen Vorhaben von der Entwicklung in der Stadt regelrecht überholt werden. Als die S21 geplant wurde, führte die Strecke über eine riesige Bahn-Brache. Doch inzwischen wächst auf dem Gelände des einstigen Güterbahnhofs an der Heidestraße die "Europa-City", eines der größten neuen Stadtviertel in Berlin. Gerade erst wurden die Pläne für ein neues Quartier mit 860 Wohnungen vorgestellt, die an der Heidestraße am Hauptbahnhof in den nächsten Jahren entstehen sollen. Zwar gibt es die Idee, die neuen Wohnviertel mit einem S-Bahn-Anschluss zu versehen. Doch über die Finanzierung für die an der S21 vorgesehenen Station "Perleberger Brücke" konnten sich Senat und Bahn bislang nicht einigen.

Kein Ausbau des U-Bahn-Netzes in den nächsten fünf Jahren

Grundsätzlich ist der Berliner Senat für die Planung der Verkehrserschließung neuer Wohnquartiere verantwortlich. Die Federführung für die Vorplanungen liegt demnach bei der Senatsverwaltung, erklärt Klaus Emmerich, der bei der BVG für die Angebotsplanung verantwortlich ist. Weil die BVG dann – wie schon im Fall des U5-Lückenschlusses – oft die konkrete Bauplanung und Realisierung übernimmt, gebe es schon frühzeitig eine Abstimmung. Etwas anders sieht es bei Stadtvierteln aus, die schon mit Bus und Bahn erschlossen sind. "Dort, wo wir eine kontinuierlich steigende Nachfrage beobachten, versuchen wir das Angebot nachzusteuern, sei es über dichtere Takte, manchmal auch über den Einsatz größerer Fahrzeuge", sagt Emmerich. Als Beispiel nennt er die Metrobus-Linie M41. Der Bus fährt mitten durch Kreuzberg und Neukölln-Nord, Ortsteile also, die laut Emmerich von einer "sehr dynamischen Einwohnerentwicklung betroffen" sind. Die Linie verzeichnet ständig steigende Fahrgastzahlen, aktuell sind es 40.000 an Werktagen. Die BVG reagierte mit kürzeren Taktzeiten und setzt seit einiger Zeit größere Busse ein. Doch Angebotsverbesserungen, stellt Emmerich klar, könne es am Ende nur in dem Maße geben, wie sie vom Senat bestellt und auch bezahlt werden. Dazu hat es in der Vergangenheit bereits mehrere sogenannte "Mehrleistungspakete" gegeben, das nächste ist für April 2017 bereits angekündigt.

Und die U-Bahn? Vor der Wahl wurde der Senat aufgefordert, die Verlängerung von sechs Linien zu prüfen, darunter auch die U8 ins Märkische Viertel. Es waren Ideen, die teilweise seit Jahren kursieren, immer wieder diskutiert und am Ende verworfen wurden. Und dabei wird es zunächst bleiben. "In den nächsten fünf Jahren wird es keinen Ausbau des U-Bahn-Netzes geben", sagt Staatssekretär Kirchner. Die Straßenbahn hat Priorität, für mehr reicht das Geld offenbar auch nicht. Sicher müsse man auch die Verlängerung von U-Bahn-Linien mittelfristig wieder in die Überlegungen mit aufnehmen, um die wachsende Stadt in den Griff zu bekommen, so Kirchner. Aber nicht mehr in dieser Legislatur.

Am Bahnhof Wittenau überwiegt Enttäuschung, dass es mit der U8-Verlängerung vorerst nichts wird. "Im Wahlkampf wurde es noch groß versprochen", sagt Sabine Kannemann, "das ist schon schade." Nur einer freut sich, dass für die U-Bahn in Wittenau Schluss ist. Inan Göl betreibt am Bahngleis einen Kiosk. Er ist sicher: Wäre hier nicht Endstation, hätte er deutlich weniger Umsatz.

Autor/Agentur: Thomas Fülling und Lorenz Vossen
Quelle: Berliner Morgenpost
Medium: Tageszeitung
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