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Pendler in Berlin: "Die Bahn ist das kleinere Übel"

04.04.2017

Täglich pendeln 274.000 Menschen nach Berlin – viele kommen mit dem Zug. Mit neuen Verkehrsprojekten will die Politik darauf reagieren.
Torsten Klamets Tag beginnt früh. Zwei Stunden vor Dienstbeginn verlässt er sein Haus in Brandenburg an der Havel und steigt in den Regional-Express RE1 Richtung Berlin. Um 7.30 Uhr beginnt seine Schicht im Bodendienst am Flughafen Tegel. Der Weg ist für Klamet (48) zwar lang, aber kein Problem. "Ich habe mich mittlerweile an das frühe Aufstehen gewöhnt", sagt er. Lediglich die Unpünktlichkeit der Pendlerzüge regt ihn auf.

Dagegen ist Franziska Röse (24) genervt. Um 6.30 Uhr fängt der Dienst der Justizfachangestellten bei der Berliner Staatsanwaltschaft an. Der Fahrplan für den Zug, der sie aus ihrem Heimatort Nauen (Havelland) nach Berlin bringt, passt ihr nicht. "Ich komme entweder deutlich vor Dienstbeginn oder viel zu spät in Berlin an." Sie wünscht sich, dass die Zahl der Zugverbindungen nach Berlin erhöht wird. Dennoch: Das Auto ist für Röse keine Option. Zu lange stünde sie im abendlichen Berufsverkehr im Stau. "Die Bahn ist für meinen 40-minütigen Heimweg das kleinere Übel."

Klamet und Röse sind nur zwei von 274.000 Menschen, die täglich aus Brandenburg zu ihren Arbeitsplätzen in die Hauptstadt pendeln. Das entspricht 21 Prozent der Berliner Arbeitnehmer. Was die Anzahl der Pendler betrifft, belegt Berlin damit nur Platz vier der Rangliste hinter Spitzenreiter München, Frankfurt am Main und Hamburg. Das geht aus einer neuen Auswertung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in Bonn hervor.

Im gesamten Bundesgebiet hat die Zahl der Pendler zugenommen: Mittlerweile fährt mehr als jeder Zweite zum Arbeiten in eine andere Gemeinde oder Stadt. Allerdings verzeichnet Berlin den größten Zuwachs unter den deutschen Metropolen: Die Zahl der Pendler ist hier seit dem Jahr 2000 um 53 Prozent gestiegen. Die rasant wachsenden Mieten treiben viele aus der Stadt, andere suchen im Ländlichen gezielt nach Erholung von der Hektik in Berlin.

SPD in Berlin und Brandenburg will mehr Schienenverkehr

Gerade der rot-rot-grünen Koalition mit ihrem Ziel von der Verkehrswende ist jeder, der mit dem Auto in die Stadt pendelt, ein Ärgernis. Dass viele Brandenburger aber nicht auf die Bahn umsteigen, überrascht nicht. Wer im überfüllten Regionalexpress auf dem Weg zur Arbeit die ganze Fahrt stehen muss, überlegt sich beim nächsten Mal, ob er nicht lieber einen Stau auf der Autobahn oder den anderen Zufahrtsstraßen in Kauf nimmt. "Deswegen hat diese Regierung den Auftrag, bei den Nahverkehrsverbindungen ins Umland besser zu werden", sagte der verkehrspolitische Sprecher der SPD, Tino Schopf.

Dazu gehöre eine bessere Pünktlichkeit, größere Fahrzeuge und ein dichterer Takt. Kürzlich habe die Bahn zwar auf der Regionalexpress-Linie 7 (Dessau–Berlin–Wünsdorf/Waldstadt) die Kapazitäten um 50 Prozent erhöht, doch sei hier noch Luft nach oben. "Viele Verbindungen müsste es alle 30 Minuten geben und nicht nur einmal in der Stunde", so Schopf. Pendlern wie Franziska Röse wäre damit geholfen.

Zuletzt hatten die Fachausschüsse Mobilität der SPD in Berlin und Brandenburg ein Programm zum Wiederaufbau und zur Erweiterung der Schieneninfrastruktur gefordert. Mit dessen Hilfe sollen Mittel beim Bund lockergemacht werden. Geplant ist unter anderen die Reaktivierung der alten Stammbahn zwischen Berlin und Potsdam sowie der Heidekrautbahn im Norden, außerdem mehr Kapazitäten auf der Hamburger Bahn zwischen Spandau und Nauen.

Probleme mit Parkplätzen

Teamwork zwischen Berlin, Bund und Brandenburg fordert auch der Berliner Fahrgastverband Igeb: "In dieser Situation wäre es falsch, vorhandene Bahntrassen nicht zu reaktivieren." Auch über Express-S-Bahnen, die nur an wichtigen Umsteigebahnhöfen halten, wird diskutiert. Nicht geplant ist, mehr Park-and-Ride-Möglichkeiten an den S-Bahnhöfen zu schaffen. Hier konnten sich Berlin und Brandenburg schon in der Vergangenheit nicht einigen. Im neuen Verkehrssenat wird dem Thema keine große Bedeutung beigemessen. Auch ein Antrag der CDU stieß auf wenig Gegenliebe. Gefordert wurde, die Tarifzone B, die an der Stadtgrenze endet, um mindestens eine Station auszuweiten. Damit sollte verhindert werden, dass Pendler, die, um Geld zu sparen, erst in der Tarifzone B in die Ringbahn umsteigen, ganze Ortsteile zuparken.

Dass das Park-and-ride-Angebot nicht ausgebaut wird, kann Sandra W. nicht verstehen. Die 43-Jährige aus Dallgow (Havelland) nutzt diese Möglichkeit täglich. Doch meistens seien die Plätze morgens schon voll. "Heute musste ich mal wieder zehn Minuten vom Bahnhof entfernt parken."

Autor/Agentur: Julius Betschka, Christian Latz
Quelle: Berliner Morgenpost
Medium: Tageszeitung
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