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Beschleunigung der BVG geht nur im Schneckentempo voran

24.10.2017

Berliner Nahverkehr
So verrinnt die Zeit. Immer wieder werden Busse und Straßenbahnen von Ampeln aufgehalten, immer wieder müssen die Fahrgäste Sekunden und Minuten warten, bevor es weitergeht.

Die Stopps summieren sich zu Monaten und Jahren, wenn man sie auf ein Pendlerleben umrechnet. Damit den Fahrgästen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) nicht mehr so viel Lebenszeit verloren geht, soll eine Arbeitsgruppe den Nahverkehr beschleunigen.

Nicht alle Ampeln können von BVG-Fahrzeugen beeinflusst werden

Doch eine Bilanz zeigt: „Sie kommt nicht so schnell voran, wie wir geplant haben“, sagt BVG-Sprecherin Petra Reetz. Ein Projekt wurde sogar auf unbestimmte Zeit vertagt.

Berlin wächst, auf den Straßen wird es voller. Das bekommt auch die BVG zu spüren. Legten ihre Busse vor 15 Jahren im Schnitt 19,6 Kilometer pro Stunde zurück, waren es im vergangenen Jahr nur noch 19,4 Kilometer.

Nicht nur Falschparker, Baustellen und der wachsende Radverkehr bremsen sie aus – auch Ampeln. Längst nicht alle 2100 Anlagen können von BVG-Fahrzeugen per Funk beeinflusst werden – 850 bieten diese Möglichkeit. Bei 60 Anlagen ist die Technik ausgeschaltet, weil sie kaputt sind oder nötige Anpassungen auf sich warten lassen.

Statt 2017 erst 2018 zügiger voran

So viel steht fest: Damit Busse und Straßenbahnen wieder an Tempo gewinnen, müssen viele Ampeln neu programmiert werden. Doch das ist jedes Mal ein kompliziertes Unterfangen, weil sich jede Änderung auf den Verkehr auswirkt. Es gibt viele Beteiligte – allen voran die Verkehrslenkung Berlin (VLB), die unterbesetzte und durch öffentliche Kritik demotivierte obere Straßenverkehrsbehörde.

Wenn dann alle Vorbereitungen irgendwann einmal tatsächlich abgeschlossen sind, muss der vom Senat beauftragte Ampelbetreiber Alliander tätig werden – und die Änderungen umsetzen. Auch er braucht oft viel Zeit.

Und so kommt die „Taskforce Beschleunigung“, die der Senat Anfang des Jahres ins Leben gerufen hat, selbst bei den wenigen Strecken des ersten Arbeitspakets nur mühsam voran. Ein Beispiel: In Spandau sollten die Linien 136/236 bis Ende des Jahres beschleunigt werden – nun ist in einer internen Auswertung von April 2018 die Rede.

Die Liste illustriert, wie viel Mühe Planer aufbringen müssen. Da geht es um verkehrstechnische Unterlagen, die zu erstellen, Testfälle, die zu bestätigen sind. Für die Ampel Heer-/ Pichelsdorfer Straße wird eine Verkehrszählung für nötig gehalten, was die Beschleunigung in diesem Fall sogar bis Juli 2018 verzögern würde. Für eine andere Ampel in der Pichelsdorfer Straße liegen die Unterlagen seit acht Monaten vor, doch „die Umsetzung bei Alliander verzögert sich. Wohl erst im November geht es los.

„Die sind einfach überlastet“

Auch auf der Linie M27 im Nordosten kommt es bis zum April 2018 zu Verzögerungen, wie aus der internen Liste hervorgeht. Viel sei noch zu klären. Auf der stark genutzten Straßenbahnlinie M4 von Mitte nach Hohenschönhausen sollte im Juni alles fertig sein. Doch die Beschleunigung kann „erst im ersten Quartal 2018 umgesetzt werden“, hieß es. Auch hier müssten Änderungswünsche abgestimmt werden, auch hier müsse gewartet werden, bis Alliander in Aktion tritt.

„Es gibt eine Vielzahl von Beteiligten, aber niemand, der darauf achtet, dass Aufgaben zügig abgearbeitet werden“, sagte ein Beobachter. Die VLB sei immer noch ein Flaschenhals. „Die sind einfach überlastet“, hieß es bei der BVG. Das habe externe Gründe, für die der Senat verantwortlich ist, sagen Insider.

Umweltschutz bremst Nahverkehr

Dazu gehören die geplanten Tempo-30-Versuche von Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne). Sie will auf fünf Hauptverkehrsstraßen untersuchen lassen, ob die Autos weniger Stickoxide ausstoßen, wenn sie statt 50 nur 30 Kilometer pro Stunde fahren dürfen.

Tempo-30-Versuch beginnt

Dafür sind zahlreiche Ampeln umzuprogrammieren, was bei der VLB viele Arbeitskräfte bindet – so dass die BVG-Beschleunigung erst mal warten muss. „Die Tempo-30-Tests zehren dort viele Ressourcen auf“, hieß es.

Weil auch auf der Leipziger, Potsdamer, Haupt- und Rheinstraße Tempo 30 untersucht werden soll, musste die Beschleunigung der dortigen Buslinien M48 und M85 auf Eis gelegt werden. Das Projekt werden „vorerst nicht weiterverfolgt“, bestätigte Reetz. Bevor der Tempo-30-Versuch beginnt, werde die jetzige Luftbelastung ermittelt, so lange dürfe nichts geändert werden.

Muss der umweltfreundliche Nahverkehr unter dem Projekt der Umweltsenatorin leiden? Im Senat sieht man keine Probleme. Es würden „abgestimmte Maßnahmenpakete entwickelt, die auch die Belange des Nahverkehrs einschließen,“ kündigte Günthers Sprecher Matthias Tang an.

Umweltschutz paradox

Den Vorwurf, dass Tempo 30 bei der VLB zu viele Arbeitskräfte bindet, wies er zurück: „Da wir gemeinsam die Prioritäten aussteuern, ist gewährleistet, dass die Belange der Nahverkehrsbeschleunigung auch weiter im Fokus stehen.“ Dass sich die Beschleunigung anderer Linien bis 2018 dauert, habe nachvollziehbare Gründe. So werde in Spandau eine neue Linie einbezogen, die X36, so Tang

„Wieder einmal zeigt sich, wie sehr jahrelanges Kaputtsparen der Verwaltung geschadet hat“, entgegnete Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB. Er befürchtete, dass die geplanten Tempo-30-Versuche der Umweltsenatorin die BVG ausbremsen. „Dadurch würde der Nahverkehr für die Fahrgäste unattraktiver“ – Umweltschutz paradox.

Autor/Agentur: Peter Neumann
Quelle: Berliner Zeitung
Medium: Tageszeitung
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