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Fahrzeugkrise bei der BVG

26.10.2017

Überfüllte Bahnen und Ausfälle
Erst die gute Nachricht: Auf der U-Bahn-Linie U55 in Mitte fahren seit Mittwochfrüh wieder Züge. Die Fahrzeuge, die aus dem Verkehr gezogen werden mussten, sind aus der Werkstatt zurück. Doch auf anderen, stärker genutzten U-Bahn-Linien dauert der Wagenmangel an. Züge sind kürzer als gewohnt, Fahrten fallen aus, klagen Fahrgäste der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Die Folge: Die U-Bahn ist nun oft noch voller als sonst. „Wir haben eine Fahrzeugkrise“, sagte Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB.

Ein Mitstreiter Wiesekes hat sich den Betrieb auf der U5 angeschaut. Normalerweise fahren dort 14 Züge hin und her, fahrplantechnisch „Umläufe“ genannt. Am Sonnabend war das Angebot jedoch stark ausgedünnt: „Von 14 Umläufen fehlten drei komplett, und von den elf verbliebenen waren fünf Kurzzüge, die teilweise nach einer 15-Minuten-Taktlücke fuhren.“ Ein Drittel der Wagen habe gefehlt. Ärgerlich sei, dass die BVG die Probleme verschwiegen habe: „Keine Laufschrift ,unregelmäßiger Zugverkehr’, keine Ansagen, keine Tweets“, hieß es.

Mehr Fahrgäste, weniger Wagen

Die Berliner U-Bahn, mit 553 Millionen Fahrgästen im vergangenen Jahr einer der größten Betriebe dieser Art weltweit, fährt am Rand ihrer Kapazität. Fahrgäste berichten, dass nicht nur auf der U5 Wagen fehlen. Auf der U3 rollen viele Kurzzüge. Ausfälle werden auch von der U9 gemeldet. „Die U-Bahn ist immer weniger in der Lage, den Alltagsbetrieb abzuwickeln“, sagte Wieseke.

Von 2007 bis 2016 ist die Zahl der Fahrgäste um 17 Prozent gestiegen – trotzdem wurde die Flotte im selben Zeitraum um 68 auf 1 244 Wagen reduziert. Die letzten großen Lieferungen liegen lange zurück. Für das Kleinprofil, wie die Linien U1 bis U4 wegen ihrer schmaleren Tunnel heißen, wurde zuletzt vor zehn Jahren eine größere Anzahl von Wagen angeschafft.

Verstärkte Graffiti-Anschläge

Zwei kleine Lieferungen danach verhinderten nicht, dass das Durchschnittsalter der Fahrzeuge auf 30 Jahre stieg. Auch im Großprofil (U5 bis U9) ist es mit 27,6 Jahren höher als bei anderen U-Bahn-Betrieben. Dort wurden zuletzt im Jahr 2002 Züge geliefert. Weil der Senat Sparen verordnet hatte, mussten alte U-Bahnen weiter fahren.

Inzwischen kann der Betrieb leicht aus der Reihe kommen. „Vorige Woche hatten wir wieder verstärkt Graffiti-Anschläge“, berichtete BVG-Sprecherin Petra Reetz „Am 19. Oktober war mit einer über 300 Quadratmeter verdreckten Fläche hauptsächlich die U9 betroffen. Zwei Tage später ging es mit verstärkten Graffiti-Anschlägen auf der U9 und U6 weiter. Im Kleinprofil sind aktuell zwölf Wagen aus diesem Grund nicht einsetzbar.“

Laub macht Räder eckig

Ein weiteres Problem: Im Herbst fällt Laub, auf den Gleisen bildet sich Schmierfilm. Beim Anfahren und Bremsen drehen Räder durch, Flachstellen sind die Folge. In einer Drehmaschine müssen die Räder wieder rund gemacht werden. Auch im Tunnel können Flachstellen entstehen. Deshalb mussten die beiden Züge der U55 in die Werkstatt Friedrichsfelde.

Derzeit werde mit Hochdruck gereinigt und repariert, so dass die BVG zum Beispiel auf der U3 für die nächsten Tage mit einer spürbaren Verbesserung rechnet. „Vorausgesetzt, es geht mit den Graffiti nicht wieder von vorn los.“ Zwar hat die BVG Fahrzeugreserven aufgebaut: Im Großprofil sind es 20 Prozent, im Kleinprofil sogar 25 Prozent, sagte BVG-Chefin Sigrid Nikutta. Doch die „alten Schätzchen“, wie sie den Großteil des Wagenbestands nennt, brauchen viel Zuwendung.

Bis zu 1050 neue Wagen

„Aufgrund des hohen Alters müssen manche Fahrzeuge neben den planmäßigen Werkstattaufenthalten für Wartung und Inspektion zusätzlich auch schweißtechnisch saniert werden“, so Reetz. „Da hier spezielle Kenntnisse gefragt sind, ist das zum Teil mit einem gewissen Zeitaufwand verbunden.“

Auf der U5 soll sich die Situation Mitte Dezember entspannen, sagte Reetz. „Dann soll der planmäßige Einsatz der für das Großprofil gelieferten neuen Züge der Baureihe IK17 beginnen.“ Ab 2021 soll die U-Bahn-Flotte deutlich aufgestockt werden: Die BVG will bis zu 1050 Wagen bestellen. Das Vergabeverfahren läuft, sagte Nikutta. Im Februar 2018 können interessierte Hersteller ihre Angebote abgeben.

Autor/Agentur: Peter Neumann
Quelle: Berliner Zeitung
Medium: Tageszeitung
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