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Fehlende Züge

28.05.2018

Die Berliner U-Bahn-Krise
Berlin - Fehlende Züge, ausgedünnter Fahrplan, genervte Fahrgäste auf den Bahnsteigen. Wer jetzt an die Berliner S-Bahn denkt, steht schon mal auf dem falschen Gleis. Bisher eine Bank im öffentlichen Nahverkehr, scheint nun auch die U-Bahn die tägliche Durchsage „Zurück bleiben“ allzu wörtlich zu nehmen.

Die Lage bei der U-Bahn spitzt sich zu. Wie auch bei der S-Bahn fehlen Wagen, um Passagiere zuverlässig zu transportieren. Die BVG und der Fahrgastverband sehen kurzfristig nur einen einzigen Ausweg. „Der Fahrzeugmangel ist eine mittlere Katastrophe“, sagt der Vizevorsitzende des Fahrgastverbandes Jens Wieseke. „Es kann schwerwiegende Folgen haben, die an die S-Bahn-Krise erinnern.“

„Wir brauchen dringend Fahrzeuge“

Kämen im nächsten Jahr keine neuen Wagen, müsse möglicherweise eine ganze Linie stillgelegt werden (KURIER berichtete). Wieseke warf dem Senat und der BVG Versäumnisse vor. „Es fehlt auf allen Linien, eine Entspannung ist erst ab 2023 in Sicht.“

BVG-Sprecherin Petra Reetz sagt: „Wir kriegen den täglichen Verkehr hin, aber das ist schon eine Leistung. Wir brauchen dringend Fahrzeuge.“ Das Landesunternehmen will vom nächsten Sommer an bis zu 1050 neue U-Bahn-Wagen ausschreiben. Doch es vergehen mehrere Jahre, bis die Aufträge vergeben, die Züge entwickelt, gebaut und zugelassen sind.

Deswegen soll bei der BVG vorerst ein außergewöhnlicher Schritt helfen: Per Direktvergabe will sie eine laufende Bestellung bei Stadler um 80 Wagen aufstocken, um alte Züge zu ersetzen, die sie im nächsten Jahr aus dem Verkehr ziehen muss. Stadler-Konkurrent Siemens beharrt aber auf einer Ausschreibung, hat Beschwerde eingelegt, auch ein Gütetermin brachte keine Einigung.

„Wir appellieren an Siemens, dass man sich mit der BVG einigt und nicht auf sein Recht pocht“, sagt Wieseke, „Das Wachstum der Stadt wird dazu führen, dass auch für Siemens noch Kuchenstücke frei werden..“ „Für unsere Kunden ist diese Stadler-Bestellung wichtig“, bestätigt BVG-Sprecherin Petra Reetz. „Wenn wir die Wagen nicht bestellen können, haben wir in einem Jahr ein Problem und müssen womöglich Takte verlängern.“

Technikprobleme und Wartungsmängel

Leihgaben aus anderen Städten seien keine Alternative, sie passten nicht ins System. „Wir können nicht nach Moskau gehen und sagen: Schickt uns mal ein paar Züge rüber.“ Berlins U-Bahnen werden immer voller. Im vergangenen Jahr zählte das Unternehmen 563 Millionen Kundenfahrten, gut elf Prozent mehr als fünf Jahre zuvor.

Der Fahrgastverband gestand den Betriebsleitern und Werkstätten der BVG gute Arbeit mit den insgesamt 1272 U-Bahn-Wagen zu. „Aber wenn keine Hasen mehr da sind, kann man keine mehr aus dem Hut zaubern.“ Berlins Nahverkehrskunden sind leidgeprüft: Technikprobleme, Managementfehler, Wartungsmängel hatten die S-Bahn 2009 in eine tiefe Krise gestürzt.

Aufsichtsrat entscheidet

Jahrelang fehlten im täglichen Betrieb Züge, weil sie öfter in die Werkstätten mussten. Wieseke warf dem Senat und der BVG Versäumnisse bei der U-Bahn vor. Nach dem Sparkurs des damaligen Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD) hätten sie nicht rechtzeitig gegengesteuert.

„Dass Berlin wächst, wissen wir seit Jahren.“ Das Unternehmen wies den Vorwurf zurück. Sicher sei Zeit vertan worden, so eine Sprecherin. „Das sind aber Entscheidungen, die trifft nicht der Vorstand, sondern der Aufsichtsrat.“ Nach Sarrazin führte der Finanzsenator Ulrich Nußbaum das Gremium, heute ist es Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne).

Autor/Agentur: Burkhard Fraune
Quelle: Berliner Kurier
Medium: Tageszeitung
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