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Neue Tram-Strecken

22.05.2018

Zug nach Westen
Sie wurde als Bimmelbahn belächelt. Sie wurde als Blechkiste abgetan. Vor allem galt die Straßenbahn als Verkehrshindernis, das so schnell wie möglich verschwinden müsse. Und so kam es dann auch: Mit der letzten Fahrt der 55 von Hakenfelde nach Charlottenburg endete am 2. Oktober 1967, einem warmen sonnigen Herbsttag, der planmäßige Betrieb in West-Berlin. Seitdem bilden die Westbezirke auf der Straßenbahnkarte einen großen weißen Fleck – abgesehen von den wenigen Strecken, die nach dem Mauerfall entstanden sind. Doch der weiße Fleck soll nicht bleiben. Denn der Entwurf des neuen Masterplans für Berlins Nahverkehr sieht viele neue Straßenbahnstrecken vor – nicht nur im Westen, sondern auch im Osten von Berlin. Einen derart massiven Ausbau des Netzes hat bislang kein offizielles Konzept vorgeschlagen.

Ein revolutionäres Programm

Es ist ein revolutionäres Programm, das den Verkehr umfassend verändern würde. Wo einst Fahrbahnen von Gleisen befreit wurden und Autos mehr Platz bekamen, könnten wieder Schienen verlegt, könnte der Straßenraum erneut umverteilt werden. Wo heute Busse im Stau stehen, würde ein Verkehrsmittel mit größerer Kapazität den Betrieb übernehmen. „Allmählich nimmt das Zielnetz für ganz Berlin Gestalt an“, lobt Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB.

Es geht um den Entwurf des Bedarfsplans für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Planer aus der Senatsverkehrsverwaltung haben ihn zusammen mit Beratern vom Center Nahverkehr Berlin (CNB) erstellt. Wie der Name sagt, wurde analysiert, wo in der wachsenden Metropole der Verkehrsbedarf zunehmen wird – und wo mit neuen Schienenwegen darauf reagiert werden sollte. U-Bahnen haben sie nicht geplant.

Nun können die Entwürfe auf der CNB-Internetseite betrachtet werden. Natürlich enthält die Karte zur Straßenbahn auch bekannte Projekte – etwa für eine Trasse vom Alex über den Potsdamer Platz zum Kulturforum. Doch das Konzept geht viel weiter. So sollen nicht nur zum Bahnhof Zoo oder zum Halleschen Tor wieder Straßenbahnen fahren, wie dies Rot-Rot-Grün vereinbart hat. Auch andere Knotenpunkte wie das Rathaus Spandau, die Bahnhöfe Wittenau und Lankwitz könnten Anschluss an die Straßenbahn erhalten.

Vor Jahrzehnten stillgelegte Verbindungen sollen reaktiviert werden

Alte, vor vielen Jahrzehnten aufgegebene Verbindungen sollen reaktiviert werden – zum Beispiel die Strecken vom Bahnhof Hermannstraße in Neukölln nach Buckow, von Moabit nach Wedding oder in der Kantstraße und weiter zum Theodor-Heuss-Platz.

Skizziert werden auch Routen, die es bisher nicht gab – etwa zwischen Steglitz, Marienfelde, Buckow und Johannisthal. Neue Stadtviertel sollen ebenfalls Straßenbahnanschluss erhalten: die Wasserstadt Oberhavel, die Urban Tech Republic auf dem Gelände des heutigen Flughafens Tegel, der Blankenburger Süden im Bezirk Pankow. Im Norden würde eine Trasse zum Märkischen Viertel und in den Pankower Ortsteil Rosenthal führen. Im Osten würden mehrere Lücken im Netz geschlossen, etwa entlang der Strecke des X54er-Busses von Weißensee nach Pankow, zwischen Mahlsdorf und Hellersdorf oder von Falkenberg nach Marzahn.

Es ist ein Konzept mit einem weiten Horizont, das bis in den Zeitraum nach 2035 reicht. Vieles ist ungeklärt, etwa die Finanzierung und Frage, ob es in Ingenieurbüros und der Verwaltung genug Fachleute gibt, um all die Strecken zu planen. Und dann ist da noch die Bürgerbeteiligung. Schon gegen den Plan, am Ostkreuz 1240 Meter Straßenbahn zu bauen, gingen nicht weniger als 800 Einwendungen ein. Nicht zu vergessen: Wenn Parkplätze wegfallen und Lärm befürchtet wird, werden Anlieger klagen.

Pläne stoßen auf geteiltes Echo

Doch die Botschaft ist klar: Das Streckennetz der Berliner Straßenbahn, das 1929 rund 643 Kilometer lang war und heute mit fast 194 Kilometern das drittgrößte Tram-Netz der Welt ist, soll kräftig wachsen.

Der Entwurf des Bedarfsplans stößt auf ein geteiltes Echo. Jens Wieseke vom Fahrgastverband ist klar für die Straßenbahn. „Bewährte Elektromobilität Made in Berlin seit 1881“, lobt er. Jörg Becker vom ADAC befürchtet dagegen Probleme für den Autoverkehr. „Ich gehe davon aus, dass das Konzept in dieser Form nicht realisiert wird“, sagt er. Nun wird erst einmal diskutiert. „Bei diesem Plan handelt es sich um einen Arbeitsstand, der noch nicht politisch entschieden ist“, so Matthias Tang, Sprecher von Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne).

Autor/Agentur: Peter Neumann
Quelle: Berliner Kurier
Medium: Tageszeitung
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