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Länger warten, enger kuscheln

06.09.2018

Zahlreiche Ausfälle bei U-Bahn und Straßenbahn / BVG: Hoher Krankenstand
Am Donnerstagmorgen mussten wieder einmal Fahrgäste der U-Bahn wegen überfüllter Züge auf den Bahnsteigen zurückbleiben. Denn die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben nur 80 Prozent der vorgesehenen Leistung erbracht. Fast 200 Wagen weniger als die planmäßigen 930 waren im Netz unterwegs. Von den geplanten Zugfahrten fielen hingegen nur acht Prozent aus. Ein BVG-Mitarbeiter, der aus nachvollziehbaren Gründen anonym bleiben will, hat »nd« diese Zahlen zugespielt.

Den Grund für die unterschiedlichen Werte kennen die Nutzer der U-Bahn: Die Züge sind oft um einen Doppeltriebwagen kürzer als vorgesehen. Statt sechs Wagen fahren nur vier, auf der U2 sind es statt acht nur sechs Wagen. Die Folge: Ein- und Ausstieg dauern länger, unter anderem weil der Zug nicht die volle Bahnsteiglänge ausfüllt und die Fahrgäste erst noch ein Stückchen laufen müssen. Der Fahrplan gerät noch mehr aus dem Takt. Statt nach fünf Minuten kommt die nächste U-Bahn womöglich erst neun Minuten später, der Nachfolger dann eine Minute später.

»Das ist auch für uns sehr stressig, wenn nicht nur vor dir kein Zug fährt, sondern hinter dir auch keiner und Leute angerannt kommen und du weißt, dass sie zehn Minuten warten werden, wenn du jetzt abfertigst und endlich abfährst«, sagt ein U-Bahnfahrer, der ebenfalls seinen Namen nicht nennen möchte.

BVG-Sprecherin Petra Reetz nennt als Grund für die vielen Ausfälle einen »relativ hohen Krankenstand«. In einem Brandbrief beklagten die Personalräte der U-Bahn erst Mitte August die Situation, unter anderem, dass im Schnitt 20 Dienste täglich nicht besetzt werden können. Selbst das sehr löchrige Angebot am Donnerstagmorgen konnte nur gefahren werden, weil auch hochrangige Verwaltungsmitarbeiter mit Fahrberechtigung öfter mal Züge steuern.

Gründe für die Ausfälle sind auch der überalterte Wagenpark und dass sich BVG und Personalrat seit Längerem nicht auf ein dem Bedarf angemessenes Arbeits- und Schichtplankonzept für die Werkstätten einigen können. Obwohl schon planmäßig über ein Viertel der Flotte von 1272 Wagen zum Stichtag 1. Januar 2018 als sogenannte Werkstattreserve eingeplant ist, reicht diese üppige Reserve nicht.

Interessant ist auch der Umstand, dass Personalprobleme vor allem die direkt von der BVG gefahrenen Linien betreffen. Die zu Zeiten des Sparwahns gegründete Tochter Berlin Transport scheint über ausreichend Personalpuffer zu verfügen.

Auch bei der Straßenbahn knirscht es derzeit gewaltig. An einzelnen Tagen fielen die planmäßigen Verstärkerfahrten im Berufsverkehr auf den Linien M5, M6 und M8 komplett aus. Die Taktzeit verdoppelt sich dann von fünf auf zehn Minuten. »Aus einem außergewöhnlich hohen Krankenstand resultieren personalbedingte Ausfälle«, erklärt Reetz. Diese würden auf die Verstärkerfahrten konzentriert, »die Auswirkungen auf die Fahrgäste und Fahrpersonale zu minimieren«, so die BVG-Sprecherin.

»Wegen des ganzen Chaos’ wurden die Dienstpläne in den letzten zwei Wochen dreimal zurückgerufen, so dass wir zurzeit keinerlei Planungssicherheit haben«, berichtet ein Straßenbahnfahrer. Auch er möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. »Ich kenne mehrere Kollegen, die sich aus Frust haben krankschreiben lassen«, benennt er einen Grund für den hohen Krankenstand.

Für den Personalmangel hat Jens Wieseke, Sprecher des Berliner Fahrgastverbandes IGEB, nur bedingt Verständnis: »Die S-Bahn hat es inzwischen auch geschafft, ausreichend Lokführer für einen stabilen Betrieb auszubilden. Es geht also, wenn man wirklich will.«

Autor/Agentur: Nicolas Šustr
Quelle: Neues Deutschland
Medium: Tageszeitung
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