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Züge ohne Fahrer

26.11.2018

Schlechte Arbeitsbedingungen, zuwenig Personal: Berliner Verkehrsbetriebe stecken in der Krise. Beschäftigte wehren sich, Unternehmen wiegelt ab
Verspäten sich in Berlin die U-Bahnen oder fallen sie aus, kommt das Social-Media-­Team der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) oft genug in Erklärungsnot. Es liege, hieß es in der vergangenen Woche, an den Fahrradfahrern, die bei der Kälte lieber mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren – und am hohen Fahrgastaufkommen. Der Berliner Fahrgastverband IGEB nannte den 20. November, an dem es zu besonders vielen Zugausfällen und Verspätungen gekommen war, deshalb einen »schwarzen Dienstag« und sprach von einer »U-Bahnkrise«. Die habe vor sechs bis sieben Jahren begonnen und sei auf die Sparpolitik des damaligen Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD) zurückzuführen, erklärte Jens Wieseke vom IGEB gegenüber jW am Donnerstag. Aus seiner Sicht ist die schlechte Situation eindeutig auf den Personalmangel und der wiederum auf die »miserable Bezahlung« bei der BVG zurückzuführen.

Das sieht BVG-Pressesprecherin Petra Reetz anders. Die Bahnausfälle seien »eindeutig« auf den »Mangel an Zügen« zurückzuführen. Sie verwies gegenüber jW am Freitag auf den Rechtsstreit mit Siemens um die Bestellung von Wagen beim Siemens-Konkurrenten Stadler. Die BVG plant Reetz zufolge die Neueinstellung von 500 Beschäftigten. Die Verkehrsbetriebe hätten einerseits überdurchschnittlich viele Angestellte, die älter als 50 Jahre sind. Andererseits sollen mehr Linien in Betrieb genommen werden und die Abstände zwischen den Fahrten verkürzt werden. Auf die Frage, was die BVG tut, um Personal zu gewinnen, verwies sie auf die zahlreichen Werbeplakate und das Ausbildungsangebot des Unternehmens.

Auf eine Diskussion um die Vergütung der Beschäftigten wollte sich die BVG-Sprecherin nicht einlassen. Seit 2014 seien die Löhne um 14 Prozent gestiegen. Verdi-Sekretär Jeremy Arndt bestätigte das am Freitag gegenüber jW. Trotzdem liege das Grundgehalt von Fahrern bei der BVG wie beim Tochterunternehmen Berlin Transport GmbH (BT) unter 2.200 Euro brutto. Mit den diversen Schichtzuschlägen kämen die Beschäftigten auf ein Bruttogehalt von maximal 2.600 Euro im Monat. Netto blieben am Ende 1.500 bis 1.600 Euro übrig. Außerdem gibt es seit 13 Jahren kein Urlaubsgeld. Reetz erklärte, dafür gebe es Weihnachtsgeld.

Der Manteltarifvertrag, der die Arbeitsbedingungen bei den Nahverkehrsbetrieben regelt (TV-N), wurde am 24. September mit Wirkung zum 31. Dezember 2018 gekündigt. Die Gewerkschaft Verdi hat durch eine Umfrage unter den Beschäftigten ermittelt, welche Themen bei der Verhandlung eines neuen Vertrages vor allem berücksichtigt werden sollen. Demnach legen die Kollegen vor allem auf die Punkte Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und Urlaubsgeld Wert.

Diese Forderungen spielten auch in dem sogenannten Brandbrief der Busfahrer von BVG und BT vom 11. September eine Rolle (jW berichtete). Darin wird außerdem die Übernahme der BT-Beschäftigten in die BVG gefordert: Sie machten die gleiche Arbeit und hätten die gleiche Ausbildung. Bei der BT arbeiten die Fahrer zweieinhalb Stunden wöchentlich mehr als die »Altbeschäftigten« bei der BVG. Die Busfahrer fordern gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Die Pressesprecherin der BVG parierte das gegenüber jW mit einem bezeichnenden Konter: Es gebe kaum noch »Altbeschäftigte«, neueingestellte BVGler arbeiteten schon jetzt länger. Außerdem sei der »Brandbrief« eine Initiative einzelner Personen und nicht repräsentativ für die Gesamtbelegschaft. Die Initiatoren des Briefes sprachen gegenüber jW dagegen von bislang 120 Unterzeichnern.

Die Stadt Berlin, findet Jens Wieseke, müsse sich fragen, ob sie in den letzten Jahren die richtige Politik gefahren habe: »Augenscheinlich nicht.« Die Verkehrswende könne nur gelingen, wenn man einen »guten, funktionierenden und modernen ÖPNV« habe. Selten allerdings hätten in der Verkehrspolitik verbale Aussagen der Senatoren und die tatsächliche politische Praxis weiter auseinandergelegen. »Ein ehrlicher Feind ist mir lieber als ein falscher Freund«, so Wieseke. Es stünden Fahrzeuge herum, da zuwenig Personal da sei. Die zuständige Senatorin Ramona Pop (Grüne), die auch Vorsitzende des BVG-Aufsichtsrates ist, lenke vom Problem des Personalmangels ab, wenn sie sagt, man könne ja auch mit Grafitti besprühte Züge einsetzen.

Autor/Agentur: Susanne Knütter
Quelle: junge Welt
Medium: Tageszeitung
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