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BVG will alle Rolltreppen in U-Bahnhöfen stilllegen

21.07.2007

Die Berliner Verkehrsbetriebe planen offenbar, in den kommenden Jahren in den U-Bahnhöfen alle Fahrtreppen abzuschalten. Entsprechende Überlegungen bestätigte BVG-Sprecherin Petra Reetz morgenpost.de. Langfristiges Ziel des Unternehmens sei es, alle 170 Stationen barrierefrei auszubauen: also mit Liften oder Rampen zu versehen.
Sie transportieren Millionen Menschen stetig unter die Erde und wieder zurück ans Tageslicht: die Rolltreppen in der U-Bahn. Doch ihre Tage könnten gezählt sein. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) überlegen, alle "Fahrtreppen" vom Netz zu nehmen. "Wir denken intensiv darüber nach", bestätigt BVG-Sprecherin Petra Reetz. "Überall dort, wo wir Lifte einbauen, sind Fahrtreppen dann verzichtbar", sagt Reetz. In neuen U-Bahnhöfen wie Hauptbahnhof, Brandenburger Tor und Bundestag sind erst gar keine mehr eingebaut worden. Bereits bestehende werden abgebaut. Ein Beispiel ist der U-Bahnhof Franz-Neumann-Platz auf der Linie 8. "Die Fahrtreppe haben wir wegen Verschleiß stillgelegt", sagt Reetz. Die Zusatznotiz in den Unterlagen lautet: "Zum Rückbau vorgesehen".

Reetz verweist auf den geringen Nutzen des Transportmittels sowie seinen exklusiven Charakter. So fördere das Rolltreppefahren nicht die Gesundheit - im Unterschied zum Treppensteigen, das die Trombosegefahr mindere. Mütter mit Kinderwagen dürfen wegen der Unfallgefahr nicht auf die Rolltreppe, Rollstuhlfahrer können es nicht.

Doch der Hauptgrund ist die Umwelt. Anders als in Paris, Moskau oder Budapest, wo die Fahrt bis zu zehn Minuten dauern kann, sind in Berlin die Höhenunterschiede gering. So können Regen, Schmelzwasser und Eis in die technischen Anlagen eindringen. Rost frisst das Material auf. Eine Fahrtreppe halte im Durchschnitt nur fünf Jahre. Deswegen habe man bereits die Laufbänder an der U-Bahn-Station Wilmersdorfer Straße (U7) entfernt, so Reetz.

So hat das stille Sterben längst eingesetzt. Derzeit sind nach Angaben der BVG von insgesamt 373 Fahrtreppen dauerhaft 14 kaputt. "Wir bemühen uns zwar, sie innerhalb eines Monats zu reparieren - aber das gelingt uns nicht immer", so Reetz. Zum Ärger der Kunden.

Beispiel Hallesches Ufer in Kreuzberg. Am südlichen Ausgang der U6 in Fahrtrichtung Alt-Mariendorf sind statt der Rolltreppe ein rot-weiß-lackiertes Aufziehgitter, eine weißliche Plastikplane und eine Wand aus Spanplatten zu sehen. Auf einer Hinweistafel steht: "Diese Fahrtreppe wird durch eine neue ersetzt." Die Inbetriebnahme soll Mitte August 2007 erfolgen. "Das dauert schon gefühlte vier Wochen", sagt eine Passantin und hat Recht. "Die Anlage ist seit dem 15. Juni wegen Verschleiß gesperrt", bestätigt die BVG-Sprecherin. Eine solche Grundinstandsetzung könne mehrere Monate dauern.

Die zweite Rolltreppe vom Erdgeschoss hinauf zur U1 Richtung Warschauer Straße hat einen Motorschaden. Auf dem Infoschild steht: "Wir arbeiten an der kurzfristigen Instandsetzung." Gemeint ist der 24. August. Bis dahin sind zwischen U1 und U6 immerhin 88 Stufen zu erklimmen.

So viele sind es am U-Bahnhof Adenauerplatz in Charlottenburg nicht. Dafür stehen hier gleichzeitig drei Rolltreppen still. "Wir nehmen sie nach und nach bis Ende August wieder in Betrieb", sagt Reetz. Weiterhin gesperrt sind Fahrtreppen am Endpunkt der Linie6 in Alt-Tegel, Am Rathaus Steglitz (U9), am Kottbusser Tor (U8/U1), an der Osloer Straße (U9/U8),am Rathaus Spandau (U7) und am Alexanderplatz.

Stillstand auch im Bahnhof Gesundbrunnen in Wedding. Am südlichen Ausgang der U8 Richtung Humboldthain sind beide Rolltreppen außer Betrieb: die abwärts seit gestern, die aufwärts seit zwei Wochen. "Wegen eines Motorschadens bleibt die Fahrtreppe bis November gesperrt", sagt Reetz. Die Hersteller brauchen Wochen, um Ersatzteile zu liefern. Die BVG hält sie nicht vorrätig. So sammelt sich hinter der Absperrung am Gesundbrunnen Unrat: Papierfetzen, Taschentücher und Flaschen. Die Rolltreppe, ein Sittengemälde.

Wer im Anschluss in Gesundbrunnen zum Gleis 9 der S-Bahn will, muss tapfer sein: Auch hier ist die Rolltreppe kaputt. Die Betontreppe daneben hat 45 Stufen. "Wir kennen den Fall, an der Fahrtreppe ist ein Steuerelement kaputt", sagt aS-Bahn-Sprecher Holger Auferkamp. Der Schaden soll in 14 Tagen behoben sein. So lange, sagt Auferkamp, könne der Aufzug am Bahnsteig als Alternative genutzt werden. Doch auch Aufzüge fallen aus. "Teilweise sind sie tagelang defekt", moniert Uwe Hoppe vom Behindertenverband Berlin.

Das bedeutet einen erhöhten Zeitaufwand, eine größere Verunsicherung und auch eine erhöhte Unfallgefahr, erklärt Paloma Rändel vom Allgemeinen Blinden- und Sehbehinderten Verband. Explizit in der Kritik: der Aufzug am Bahnhof Friedrichstraße, der von Gleis 5/6 bis runter ins WC-Center fährt und auf allen Zwischenebenen stoppt. "Wir denken über technische Verbesserungen nach", sagt Auferkamp.

Die Überlegungen stoßen auf Kritik beim Berliner Fahrgastverband Igeb. Vizechef Matthias Horth: "Wir fordern, dass die BVG ihre Infrastruktur aufrechterhält. Dazu gehört das Gros der Fahrtreppen. Die müssen funktionstüchtig gehalten werden." Diese Bedingungen sollten in dem Verkehrsvertrag festgelegt werden, den BVG und das Land Berlin derzeit aushandeln. Aufzüge seien wichtig und hilfreich, weil all jene sie nutzen können, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, vom Gehbehinderten bis zur Mutter mit Kinderwagen. Aber Aufzüge seien auch langsam und von geringem Fassungsvermögen. Horth führt den Umsteigebahnhof Tempelhof als Beispiel an. Dort gibt es zwei Aufzüge, aber keinen Fahrstuhl. "Bei täglich bis zu 40.000 Umsteigern reichen die Aufzüge nicht."

Der Sprecher des Berliner Behindertenbeauftragten Martin Marquard betont, dass alle barrierefreien Lösungen mittels Aufzügen daran kranken, dass sie schnell defekt seien. "Eine schnelle Reparatur ist vonnöten; dies geschehe bei der S-Bahn nicht so schnell wie bei der BVG." Sein Hinweis: Vor der Fahrt mit U- und S-Bahn auf den Internetseiten die Störmeldungen abrufen.

Autor/Agentur: Tanja Laninger
Quelle: Berliner Morgenpost
Medium: Tageszeitung
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