„Zwei Stunden schaffen die nicht“, ist zum Beispiel Jens Wieseke vom Fahrgastverband Igeb überzeugt. „Völlig unrealistisch“, sagte ein anderer Fahrplanexperte. Er verwies auf den einzigen Fernzug, der derzeit über diese Strecke fährt – und fast drei Stunden benötigt. Die Bahn wollte sich gestern auf Nachfrage nicht zur genauen Fahrzeit äußern, soweit sei man noch nicht. „Möglicherweise werden es ein paar Minuten mehr“, hieß es ausweichend.
Doch mit „ein paar Minuten“ ist es wohl nicht getan, sagen Fachleute. Realistisch seien 50 Minuten Fahrzeitverlängerung. Nadelöhr ist die eingleisige Strecke zwischen Stendal und Uelzen. Dort werden die ICEs Zeit verlieren, weil sie auf den Gegenzug warten müssen, hieß es. Diese Strecke, die auch Amerikabahn genannt wird, weil dort früher die Auswanderer nach Bremen fuhren, gilt bei der Bahn schon jetzt als „gut ausgelastet“. Experten erwarten deshalb, dass es große Einschränkungen im Regionalverkehr geben wird, damit die ICEs nach Hamburg überhaupt fahren können.
Wie berichtet, hatte der Fahrgastverband Igeb einen Rabatt auf den Ticketpreis für die Zeit der Bauarbeiten gefordert. Bei der Bahn hieß es, dass ein Rabatt vorstellbar sei, entschieden sei es aber noch nicht. Bekanntlich hatte die Bahn den Fahrpreis zwischen Berlin und Hamburg mit Fertigstellung der Schnellstrecke 2004 kräftig erhöht.
Die Strecke hatte auch viel Geld gekostet. Zwei Milliarden Euro waren in den 90er Jahren in die Elektrifizierung und den zweigleisigen Ausbau investiert worden. Aus politischen Gründen – noch war der Transrapid geplant – wurde die Strecke nur für Tempo 160 zugelassen. Als im Jahr 2000 das Aus für die Magnetschwebebahn kam, wurde eine Beschleunigung auf Tempo 230 beschlossen. Diese kostete weitere 600 Millionen Euro, seit Dezember 2004 rollen die ICEs in nur noch 90 Minuten an die Elbe.
Doch bei diesem zweiten Ausbau blieben die Schwellen aus den 90ern liegen – und die zersetzen sich jetzt. Bundesweit soll es sich um 700 000 bis eine Million Schwellen aus dem Betonwerk Rethwisch handeln, die ausgetauscht werden müssen, weil sich die verwendeten Bestandteile chemisch nicht vertragen. Dass dieser Zersetzungsprozess so schnell verläuft, habe nach Bahnangaben auch unabhängige Gutachter überrascht. Auf den Kosten bleibt die Bahn sitzen. Auf eine Klage gegen das Unternehmen war verzichtet worden, da Rethwisch so in die Pleite getrieben worden wäre. Und dann hätte es eine Art Monopol auf dem Schwellenmarkt gegeben, das dann die Preise diktiert hätte, hieß es.
Personelle Konsequenzen hatte das Schwellen-Desaster bei der Bahn bislang nicht.