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Fußgänger-Maut auf Bahnsteig

07.11.2005

S-Bahn verlangt im Fernbahnhof Südkreuz auch von Passanten Kauf eines Fahrscheins
Müssen Fußgänger, die den neuen Fernbahnhof Südkreuz (ehemals S-Bahnhof Papestraße) durchqueren, um vom Werner-Voß-Damm (Tempelhof) zur Naumannstraße (Schöneberg) zu gelangen, einen S-Bahn-Fahrschein lösen? Das jedenfalls befürchtet die Bürgerinitiative "Neue Wege für Neu-Tempelhof" und spricht empört von einer "Fußgänger-Maut".

Hintergrund: Seit einigen Wochen müssen Fußgänger, die den neuen Bahnhof durchqueren wollen, die neue Ringbahnhalle der Länge nach passieren. Die alte Unterführung, die jahrzehntelang die beiden Ortsteile verbunden hat, gibt es nicht mehr. "Bei mir hat sich eine Dame gemeldet, die von einem S-Bahn-Kontrolleur nach einem Fahrausweis gefragt wurde", berichtet Christoph Götz von der Bürgerinitiative. Das Betreten des Bahnsteigs, so sei ihr mitgeteilt worden, sei grundsätzlich nur mit gültigem Fahrausweis möglich.

Stimmt das überhaupt, wollte die Berliner Morgenpost von der S-Bahn GmbH wissen. Deren Sprecher Ingo Priegnitz bestätigt zunächst: "Wer auf Bahnsteigen über die Entwerter-Automaten hinausgeht, benötigt einen Fahrausweis." Von Kontrollen würde aber "eigentlich abgesehen". Er wolle den Vorgang prüfen.

Auch der Fahrgastverband Igeb ist überzeugt: "Eigentlich darf die Bahnhofsanlage nur betreten, wer einen gültigen Fahrausweis hat", so Vorstandsmitglied Jens Wieseke. Er fordert Bahn und Senat auf, im Falle der Ringbahnhalle zu einer akzeptablen Lösung zu kommen, "damit stadtplanerische Probleme nicht auf dem Rücken der Berliner ausgetragen werden." Wiesekes Vorschlag: Die S-Bahn hängt Hinweisschilder auf, mit dem Text: "Betreten zur Querung gestattet, betreten auf eigene Gefahr."

In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die seinerzeit entschieden hatte, auf die Unterführung zu verzichten, weil das Land Berlin sonst 50 Prozent der Baukosten hätte tragen müssen, ist man "überrascht". Sprecherin Petra Rohland: "Ich habe beim VBB angerufen und mich erkundigt." Demnach gebe es rechtlich keine Verpflichtung zum Kauf eines Tickets, wenn man lediglich passieren wolle. Rohland: "Offenbar kennen die Kontrolleure die Gesetze nicht." Gerade der Bahnhof Südkreuz sei im Übrigen so konzipiert worden, daß der Bahnsteig zugleich die Funktion einer Fußgängerpassage übernehme.

Inzwischen hat auch die S-Bahn GmbH nachgeforscht und neue Erkenntnisse zutage gefördert: "Seit 1. August 2005 gelten neue Beförderungsrichtlinien", so Sprecher Priegnitz. "Seitdem sind auf allen Bahnsteigen keine Fahrkarten mehr nötig", ist er sich nunmehr sicher.

Doch ein Anruf beim S-Bahn-Kundentelefon am gleichen Tag (Freitag) bringt wieder andere Ergebnisse. Eine freundliche Dame dort teilt mit: "Laut Tarif muß der Fahrgast sich vor Betreten der Bahnsteige eine Fahrkarte besorgen." Sie bemüht sich, die entsprechende Formulierung in den 14seitigen "Beförderungsbedingungen", die auch im Internet veröffentlicht sind, aufzuspüren. Und tatsächlich: Unter Paragraph 6, Absatz 4, findet sich endlich die gesuchte Regelung: " Der Fahrgast hat den Fahrausweis bis zur Beendigung der Fahrt aufzubewahren und dem Betriebspersonal auf Verlangen zur Prüfung auszuhändigen." Und weiter: "Die Fahrt gilt dann als beendet, wenn der Fahrgast an seiner Zielhaltestelle das Fahrzeug sowie ggf. die Bahnsteiganlagen verlassen hat."

Die grüne Stadtplanungsdezernentin Elisabeth Ziemer findet das Ticket-Wirrwarr um den Fernbahnhof "völlig absurd". Die Durchquerung sei immer eingeplant gewesen. "Daß die Fußgänger durch die Halle müssen, war ja von der Bahn gewollt", erinnert sie sich. Die 40 Meter breite Ringbahnhalle ersetze im Konzept Südkreuz die Bahnhofshalle. Ziemer: "Wenn die dort ernsthaft einen Fahrschein verlangen, mach ich ein Faß auf."

Autor/Agentur: Isabell Jürgens
Quelle: Berliner Morgenpost
Medium: Tageszeitung
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