Pressemitteilung vom 15. Februar 2005

"BVG 2005 plus"
Berliner Fahrgastverband IGEB fordert Nachbesserungen in dem am 12.12.2004 eingeführten neuen BVG-Liniennetzkonzept und legt einen 15-Punkte-Plan für Sofortmaßnahmen vor, damit Berlin einen attraktiven ÖPNV behält

Einführung des BVG-Liniennetzkonzeptes am 12. Dezember 2004

Am 12. Dezember 2004 gab es mit der Einführung des Konzeptes "BVG 2005 plus" den in der Geschichte der BVG wohl umfassendsten Fahrplanwechsel. Von den vorher 194 U-Bahn-, Straßenbahn- und Buslinien blieben nur 64 Linien unverändert. Die restlichen Linien wurden eingestellt, verändert oder umbenannt, so dass nunmehr 179 BVG-Linien existieren. Darüber hinaus gab es umfangreiche Fahrplan-Änderungen - auch bei ansonsten unveränderten Linien. Die BVG verspricht sich durch das neue Liniennetzkonzept knapp 20 Mio neue Fahrgäste und Mehreinnahmen in Höhe von ca. 10 Mio € pro Jahr. Durch Sparmaßnahmen und wirtschaftliche Effizienzsteigerung soll sich durch das Konzept "BVG 2005 plus" der Gesamteffekt zur BVG-Sanierung auf ca. 17 Mio € pro Jahr belaufen.

Der Berliner Fahrgastverband hat eine Überarbeitung des Liniennetzes im Grundsatz immer begrüßt, weil die Einführung von Straßenbahn- und Buslinien mit klar definierten (Mindest-) Qualitätsstandards sehr sinnvoll ist und sich in anderen Städten bereits bewährt hat und weil das Liniennetz an vielen Punkten den veränderten Standorten von Einzelhandel, Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen sowie dem veränderten Schnellbahnnetz nicht mehr entsprach.

Metrolinien
Populärste Maßnahme war die Einführung der "Metrolinien". Insgesamt 9 Straßenbahn- und 15 Buslinien hat die BVG zu Metrolinien ernannt, auf denen ein festes Produktversprechen gelten soll: Gemeinsam mit den S- und U-Bahnlinien sollen die Metrolinien durch einen tagsüber mindestens 10-Min-Takt und durch einen 20-Stunden-Betrieb zwischen 4.30 und 0.30 Uhr an allen Wochentagen ein Kernnetz bilden, dass für den Fahrgast ein verlässliches Taktangebot darstellt und für das keine Fahrplankenntnisse erforderlich sind.

Die Einführung der Metrolinien hat sich aus Sicht des Berliner Fahrgastverbandes IGEB - trotz einiger Wermutstropfen - bewährt. Die Metrolinien stellen z.T. längst überfällig gewordene neue Verbindungen (z.B. OL M41 aus Neukölln / Kreuzberg zum Potsdamer Platz) her und sind für die Fahrgäste auch ohne Fahrplankenntnisse ein insgesamt gutes und berechenbares Angebot.

Ärgerlich sind die z.T. schlechten Fahrgastinformationen bei den sogenannten Linienflügelungen in den Außenbezirken, die zu vielen Ausnahmeregeln vom eigentlichen Produktversprechen (20-Min-Takte, früher Betriebsschluss) und die Tatsache, dass ausgerechnet am Samstag-Abend der attraktive 10-Min-Takt nur auf sehr wenigen Metrolinien angeboten wird. Für manchen Fahrgast stellte sich die Umstellung seiner Linie auf eine Metrolinie sogar als Nachteil heraus: 4 Buslinien wurden im Zusam-menhang mit ihrer "Aufwertung" zur Metrolinie in ihrem Fahrtenangebot zwar nicht verbessert, dafür aber in der Linienführung z.T. verkürzt, so dass für einige Fahrgäste durch die Umstellung auf Metro-linien neue Umsteigezwänge entstanden sind.

Ergänzungslinien
Gleichzeitig wurden jedoch z.T. drastische (Spar-)Maßnahmen im sogenannten Ergänzungsliniennetz umgesetzt. Im gesamten Stadtgebiet wurden bei sehr vielen Straßenbahn- und Buslinien einzelne Linienabschnitte ganz eingestellt, die Betriebszeiten z.T. erheblich eingeschränkt und / oder die Taktfolgen gestreckt. Für einen erheblichen Teil der Fahrgäste hat sich daher die Verkehrsanbindung verschlechtert.

Besonders gravierend sind die negativen Auswirkungen für viele Fahrgäste durch die als Folge von Linienkürzungen entstandenen zusätzlichen Umsteigezwänge. Viele Fahrgäste, die bisher durchgehende Verbindungen hatten, müssen nunmehr auf ihren täglichen Wegen vermehrt umsteigen. Besonders unattraktiv wird die BVG-Benutzung vor allem dann, wenn selbst bei kurzen Wegen z.B. zum nächsten lokalen Einkaufszentrum oder zu Kita bzw. Schule Umsteigezwänge entstehen oder sogar ein Umsteigen innerhalb des 20-Min-Takt-Netzes erforderlich ist.

Wie drastisch im Ergänzungsliniennetz gespart wurde, machen folgende Zahlen deutlich: Insgesamt werden ca. 100 Haltestellen gar nicht mehr bedient. Die Verkehrsleistung sinkt bei der BVG insgesamt um ca. 6 Mio Nutzwagenkilometer pro Jahr, dass sind knapp 5 % der von der BVG laut Unternehmensvertrag zu erbringenden Verkehrsleistung. Der Berliner Fahrgastverband schätzt, dass aufgrund der z.T. deutlichen Verlagerung von Verkehrsleistungen in das Metroliniennetz ca. 7 - 9 % der Verkehrsleistung im Ergänzungsliniennetz eingespart wurden.

Kiezlinien
Mit dem neuen BVG-Liniennetzkonzept wurden mehrere sogenannte Kiezlinien (z.B. OL 341, 342, 343, 387) eingeführt, die die gröbsten - durch die drastischen Sparmaßnahmen im Ergänzungsliniennetz entstandenen - Erschließungslücken füllen sollen. Sie werden als Ringlinien im Einrichtungsverkehr mit sehr eingeschränkten Betriebszeiten und generell nur im 20-Min-Takt bedient. Ein solches Bedienungskonzept mag für dünn besiedelte Bereiche am Stadtrand, wo alle Verkehre auf nur ein lokales Zentrum an dem möglichst auch eine Schnellbahnstation liegt, ein sinnvolles Verkehrsangebot sein. Für dicht bebaute Innenstadtbezirke mit sehr vielfältigen Verkehrsverflechtungen sind Ringlinien im Einrichtungsverkehr mit Endstelle mitten "auf der Strecke" kein akzeptables ÖPNV-Angebot. Keine der vier in Kreuzberg (OL 341), Moabit (342, 343) und Friedenau (387) neu eingeführten Ring-linien deckt die tatsächliche Verkehrsnachfrage in akzeptabler Weise ab und deshalb müssen diese Linien dringend verändert werden.

Reaktion der Fahrgäste
Seit Einführung des neuen Metroliniennetz reißen die Beschwerden der Fahrgäste nicht ab. Anfangs konzentrierten sich die Beschwerden auf die völlig fehlgeschlagene Informationskampagne der BVG, in der zwar rechtzeitig und ausführlich die Vorteile der neuen Metrolinien beworben wurden, aber sich kaum ein Fahrgast vor dem Fahrplanwechsel ausreichend über die Linienführungen und Fahrpläne der sonstige Straßenbahn- und Buslinien informieren konnte.

Nachdem den Fahrgästen aber bewusst wurde, wie weitreichend die Sparmaßnahmen im Ergänzungsliniennetz gehen und welche Nachteile sie durch viele Änderungen erfahren, häuften sich die Beschwerden über das neue Linienkonzept bei der BVG, bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, in den Medien und auch beim Berliner Fahrgastverband IGEB.

Beim Berliner Fahrgastverband gingen in den ersten 8 Wochen Kummerkarten mit Kritik und Beschwerden zu ca. 70 Einzelproblemen ein. Die meisten berührten dabei die Sparmaßnahmen im Ergänzungsliniennetz: Vermehrte Umsteigezwänge, längere Wartezeiten durch Taktausdünnungen, verkürzte Betriebszeiten in den Morgenstunden, Fahrplanlücken zwischen Tages- und Nachtverkehr, fehlende Schülerfahrten oder tarifliche Nachteile sind die immer wieder benannten Probleme.

Bei der BVG gingen in diesem Zeitraum ca. 6.000 Beschwerden ein. Die Beschwerdepunkte konzentrieren sich - wie die BVG selbst einräumt - auf gleichartige Themenbereiche wie bei den Kummerkarten des Berliner Fahrgastverbandes. Während nach BVG-Angaben 37 % der Fahrgäste durch das neue Netz Verbesserungen erfahren und nur 5 % Verschlechterungen in Kauf nehmen sollten, sprechen die Ergebnisse einer Ende Januar durchgeführten emnid-Umfrage eine andere Sprache: Danach schätzen inzwischen 66 % der BVG-Vielfahrer ein, dass sich das neue Verkehrsangebot verschlechtert hat.

Vor allem für ältere Fahrgäste sind durch die Einsparungen auf ihren regelmäßigen Wegen Nachteile in einem Umfang entstanden, wie es kaum zu ahnen war. Viele Fahrgäste müssen so gravierende Nachteile in Kauf nehmen, dass sie angekündigt haben, die BVG nicht mehr oder nicht mehr regelmäßig zu benutzen und z.B. ihre Jahresabos kündigen werden. Statt des geplanten Fahrgastzuwachses um 2 % ist - auch vor dem Hintergrund von erneut beabsichtigten Tarifsteigerungen - wohl eher ein schmerzlicher Fahrgastverlust zu erwarten.

Reaktionen der BVG
Die BVG war auf punktuelle Kritiken vorbereitet und hat auf einige (wenige) der mit dem neuen Fahrplan verbundenen Probleme schnell reagiert. So wurden in den letzten Wochen bzw. werden zum 26.2.2005 auf einigen (wenigen) Linien die gestrichenen Schülerfahrten wieder eingeführt, durch ergänzende Einzelfahrten der nach hinten verschobene morgendliche Betriebsbeginn wieder rückgängig gemacht und entstandene Fahrplanlücken zwischen Nacht- und Tagesliniennetz wieder gestopft.

Des Weiteren hat die BVG angekündigt, zum 26.2.2005 zwei Liniennetzveränderungen durchzuführen:


Alle übrigen benachteiligten Fahrgäste speist die BVG offiziell mit dem Trostpflaster ab, dass das Verkehrskonzept "BVG 2005 plus" in mehreren Schritten "nachjustiert" werden soll, wozu Taktveränderungen, veränderte Linienführungen, veränderte Betriebszeiten und die Anschlussoptimierung gehören sollen. Tatsächlich aber beabsichtigt man über die beiden benannten Liniennetzmaßnahmen keine Veränderungen am Liniennetz mehr, sondern weist vielmehr auf die zurückgehenden Beschwerden hin.

Ein Festhalten am jetzigen Liniennetz hätte aber eine dauerhafte Attraktivitätsminderung des gesamten ÖPNV-Angebotes in Berlin zur Folge und würde für viele ältere Menschen eine dauerhafte Einschränkung ihrer Mobilität bedeuten.

Auch im Hinblick auf die zu erbringenden Verkehrsleistungen nach Auslaufen des aktuellen BVG-Unternehmensvertrages sind derart drastische Einschnitte im ÖPNV-Angebot aus sozialen, verkehrlichen und umweltpolitischen Gesichtspunkten nicht akzeptabel.

Der Berliner Fahrgastverband IGEB fordert daher

15 Sofortmaßnahmen zur Verbesserung des BVG-Liniennetzkonzeptes

Auf der Grundlage der uns bekannten Probleme hat der Berliner Fahrgastverband IGEB die aus unserer Sicht vordringlichsten Maßnahmen in einem 15-Punkte-Plan zusammenfasst. Es sind Maßnahmen, die kurzfristig, also spätestens zum sogenannten kleinen Fahrplanwechsel im Juni 2005, umgesetzt werden können und sollen, wobei auch die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Landes Berlin und der BVG nicht ignoriert werden:

Allgemeines

Straßenbahnnetz

Busliniennetz


Darüber hinaus sind nach Einschätzung des Berliner Fahrgastverbandes IGEB weitere Veränderungen erforderlich, die jedoch wegen ihrer umfassenderen Auswirkungen auf das gesamte Liniennetz einen ausführlichen Abstimmungs- und Beteiligungsprozess erfordern und deshalb nicht bis Juni 2005 realisiert werden können.

Christfried Tschepe
Vorsitzender
Matthias Horth
Stv. Vorsitzender

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