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Gefährliches Wendemanöver

21.05.2000

U-Bahn-Fahrgäste irrtümlich in der Abstellanlage gelandet - BVG sieht keine Gefahr
Als "kreuzgefährlich" bezeichnete gestern Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB die neue Praxis der BVG beim so genannten Kehren von U-Bahnen. Wenn die Züge vor der Rückfahrt in die Abstellanlage hinter den Bahnhöfen fahren, kontrolliert jetzt kein Mitarbeiter mehr, ob noch Passagiere in den Zügen sitzen. Vor kurzem waren deshalb mehr als 30 Insassen nach ihren Angaben rund eine Viertelstunde eingesperrt. Da auch die Türen geöffnet wurden, hätten sie auch unbeaufsichtigt über die Gleise laufen können. Die BVG selbst sieht keine Gefähr für ihre Kunden. Das Kehr-Verfahren sei so mit der Technischen Aufsichtsbehörde abgestimmt, sagte BVG-Sprecher Klaus Wazlak.

Bis vor kurzem liefen noch Mitarbeiter vor der Fahrt in die Kehranlage am Zug entlang, um festzustellen, ob alle Fahrgäste ausgestiegen waren. So verfährt auch die S-Bahn. Die BVG hat dieses Personal jedoch eingespart. Als Hinweis gibt es nur Lautsprecherdurchsagen - auf Deutsch. Wer nicht aufpasst oder nichts versteht, kann jetzt in der Abstellanlage landen. So, wie vor wenigen Tagen auf dem Bahnhof Rohrdamm der Linie U 7. Dort hatte der Fahrer auch noch irrtümlich die Türen des Zuges geöffnet, wie Wazlak bestätigte. Der Fahrer habe die Fahrgäste aber aufgefordert, im Wagen zu bleiben. Würden sie über die Gleise laufen, könnten sie einen Stromschlag erleiden (750 Volt) oder von einem Zug erfasst werden.

Wazlak schließt dies aus. Das Standardverfahren sehe so aus, dass der Fahrer die Türen geschlossen lasse und am etwa 90 Meter langen Zug entlang zum anderen Fahrerstand gehe. Dabei sehe er dann auch Fahrgäste, die mitgefahren sind, und könne reagieren.

IGEB-Vertreter Jens Wieseke hält den Verzicht auf Kontrollen am Bahnsteig dagegen für nicht vertretbar. Hier übertreibe die BVG ihre Sparmaßnahmen, sagte er. Für den Verzicht auf Zugabfertiger hat die BVG jetzt aber immerhin gerichtlichen Beistand erhalten. In München ist ein S-Bahn-Fahrer vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen worden, der nicht gesehen hatte, dass eine Frau in der Tür eingeklemmt und deshalb vom Zug mitgeschleift worden war. Dabei wurde die Frau getötet. Auch bei der BVG muss nach dem Abzug der Zugabfertiger der Fahrer die Abfahrt alleine beobachten.

Die Züge können dabei nur anfahren, wenn die Türen geschlossen sind. Die Fahrer erhalten das Signal aber auch, wenn kleine Gegenstände, etwa Handtaschen oder Rucksäcke, eingeklemmt sind, weil die Türen mit den Gummilippen dazwischen als geschlossen gelten. Würde der Mechanismus so fein eingestellt, dass schon ein eingeklemmter Riemen einer Handtasche die Tür wieder öffnete, käme im Alltag "die S-Bahn nicht mehr aus dem Bahnhof raus", erklärte der Staatsanwalt in München und zog die Berufung gegen den Freispruch des Fahrers zurück.

Autor/Agentur: kt
Quelle: Der Tagesspiegel
Medium: Tageszeitung
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