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BVG-Krise

23.01.2019

Was sich ändern muss, damit sich der Betrieb wieder stabilisiert
Sie sorgt dafür, dass die Berliner und die Touristen ohne Auto mobil sind. 2018 wurde sie für fast 1,1 Milliarden Fahrten genutzt. Doch lange hatten Beobachter den Eindruck, dass die BVG ein Stiefkind der Politik ist. Die Zahl der Ausfälle und Verspätungen stieg auf ein Rekordhoch. Jetzt ist die rot-rot-grüne Koalition aktiv geworden.

„Alle sind aufgewacht“, so der SPD-Verkehrspolitiker Tino Schopf am Mittwoch. Tags zuvor hatte die Fraktion BVG-Chefin Sigrid Nikutta eingeladen. Zwar entschwand der Regierende Bürgermeister Michael Müller zum Google-Empfang, bevor sie sprechen durfte. Doch wer blieb, hörte eine lange Analyse: etwa über den hohen Krankenstand des Personals, über Fahrzeugbeschaffungen und anstehende Taktverlängerungen auf den Linien U6, U7 und U9. Was muss sich sonst noch ändern?

Mehr Personal

Am Mittwoch bedankte sich Nikutta für die Gespräche mit der SPD und den Grünen: „Erfreulicherweise waren wir uns mit allen Abgeordneten darüber einig, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BVG täglich Hervorragendes leisten. Klar ist aber auch, dass wir nach dem großen Wachstum der vergangenen Jahre bei Fahrgastzahlen und Kilometerleistung dringend an den Rahmenbedingungen arbeiten müssen. Dazu gehört neben dem Ausbau der Fahrzeugflotten auch der Personalaufbau bei Fahrerinnen und Fahrern, in den Werkstätten und für Sicherheit und Service.“ 2019 soll es 1100 Einstellungen geben, davon 720 im Fahrdienst und 113 in den Werkstätten.

Besser bezahlen

Personalrat Frank Kulicke erklärte den SPD-Abgeordneten, wie viel das Fahrpersonal verdient. „Die wären fast hintenüber gefallen“, sagte er. „Es hat mich gewundert, dass sie über die Löhne in ihrem Landesunternehmen nicht Bescheid wissen.“ Wer neu als Fahrer angefangen hat, erhalte bei Steuerklasse 1 inklusive aller Zulagen rund 1600 Euro netto pro Monat. Wer seit 16 Jahren im Fahrdienst Verantwortung trägt, bekomme rund 500 Euro brutto weniger als jemand, der als Handreiniger für die Stadtreinigung Straßen kehrt. Kein Wunder, dass die Fluktuation bei der BVG hoch sei, sagte der Verdi-Gewerkschafter. Die Bezahlung muss besser werden: „Die Kollegen brauchen einen ordentlichen Schluck aus der Pulle.“ Wenn ab dem 28. Januar über einen neuen Manteltarifvertrag verhandelt wird, soll es auch um bessere Eingruppierungen gehen. Warnstreiks drohen.

U-Bahn-Betrieb automatisieren

Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB forderte, die Kapazität des wichtigsten Berliner Verkehrsmittels mit moderner Technik zu steigern. „Damit die U-Bahnen häufiger fahren können, muss der automatische Betrieb eingeführt werden“, sagte er. Es gehe nicht darum, Personal einzusparen, die frei werdenden U-Bahn-Fahrer könnten in der Fahrgastinformation und anderen Bereichen gute Dienste leisten. „Die Frage lautet: Wie können wir aus der bestehenden Infrastruktur mehr Leistung herausholen? Sie ist für eine Fünf-Millionen-Einwohner-Stadt ausgelegt, aber wir nutzen dieses Potenzial nicht.“ Wenn Computer den Betrieb steuern, könnte alle zwei oder zweieinhalb Minuten eine U-Bahn verkehren, so Wieseke. Unter dem Titel „Star 2000“ wurde von 1996 bis 2002 auf der U5 mit zwei Zügen bereits ein automatischer Betrieb erprobt.

Busspuren freiräumen

Bus-Sonderfahrstreifen werden immer wieder zugeparkt. Zwar hat die rot-rot-grüne Koalition festgelegt, dass auch die BVG Falschparker abschleppen darf. Doch bisher durfte das Unternehmen nicht selbst tätig werden. Die Verwaltungsvorschrift, die dafür nötig ist, sei noch nicht erlassen worden, sagte BVG-Sprecherin Petra Nelken auf Anfrage. Zuständig sei die Senatsverwaltung für Inneres. „Da muss endlich gehandelt werden“, sagte SPD-Politiker Tino Schopf.

Mehr Busspuren

Seit Jahren ist das Busspurnetz kaum länger geworden. Es muss endlich wieder wachsen, forderte Matthias Dittmer von der Landesarbeitsgemeinschaft Mobilität der Grünen. Er verlangte die „Soforteinführung von überwachten Busspuren auf den verspätungsanfälligsten Stauabschnitten“. Die Verkehrslenkung Berlin (VLB) und der Senat kennen die Liste: „Nicht warten, bis es einen neuen VLB-Chef gibt oder eine neue Struktur gefunden ist.“

Vorrang an Ampeln

Die Beschleunigung des Nahverkehrs geht in Berlin nur im Schleichtempo voran. Sicher, Ampelumstellungen sind komplexe Angelegenheiten. Kritiker sagen aber auch, dass die Senatsverwaltung die Zügel schleifen lässt. Die obere Straßenverkehrsbehörde VLB, die oft die Interessen des Autoverkehrs stark betont, arbeite nicht immer mit. „Da brauchen wir dringend Verbesserungen“, forderte der Grünen-Verkehrspolitiker Harald Moritz.

Elektrobus-Strategie überdenken

Lässt sich mit Batteriebussen ein zuverlässiger Betrieb erreichen, der den Ansprüchen der wachsenden Stadt genügt? Sind sie im Vergleich zu Fahrzeugen mit anderen Antrieben nicht doch zu teuer? Darüber müsse der Senat, der die Zukunft ausschließlich im E-Bus sieht, neu nachdenken, forderte der Fahrgastverband IGEB. Auch Grünen-Mitglieder sehen das so. „Elektrobusse eignen sich vielleicht für die letzte Meile, etwa als Kiezverkehr in Frohnau oder Mahlsdorf“, so IGEB-Sprecher Jens Wieseke. „Aber auf stark genutzten Linien wie der M41 oder M48 kann ich mir sie nicht vorstellen.“ Batteriebusse seien doppelt so teuer wie Dieselbusse: „Ihre Anschaffung bindet große Ressourcen.“

Mehr Geld für den Nahverkehr

Berlins Straßenbahnnetz soll wachsen, neue S- und U-Bahn-Strecken sind ebenfalls geplant. Auf vielen BVG-Linien, auch außerhalb der Innenstadt, soll der Verkehr verdichtet werden. Expressbusse ins Umland könnten das Angebot ergänzen. Der Entwurf des neuen Nahverkehrsplans sieht einen massiven Ausbau vor. Das kostet zusätzliches Geld – das vom Land bereitzustellen ist, wie Tino Schopf (SPD) bekräftigte. „Die Maßnahmen müssen mit finanziellen Mitteln unterlegt werden.“ „Angebotsausweitung und Beschleunigung erfordern Geld“, unterstrich Andreas Otto (Grüne). Ramona Pop, Wirtschaftssenatorin und Vorsitzende des BVG-Aufsichtsrats, sieht das genauso. „Was Berlin und die BVG jetzt brauchen, sind große Investitionen in die Zukunft. Deshalb werden im neuen Verkehrsvertrag nicht die alten Summen stehen, die Zahlungen an die BVG müssen steigen“, sagte die Grünen-Politikerin im Interview mit der Berliner Zeitung. Der jetzige Vertrag galt als Sparinstrument, der neue werden „einen neuen Geist atmen“.

Bonussystem ändern

„Die schwarze Null in der BVG-Bilanz kommt nicht von ungefähr“, so Personalrat Frank Kulicke. Damit sie erreicht werden kann, sind Ausgaben zu begrenzen – oft zulasten des Personals und der Fahrgäste. Die Vorgaben bestimmen, wie hoch die ergebnisabhängigen Vergütungen für die BVG-Vorstandsmitglieder ausfallen. Matthias Dittmer (Grüne) forderte, das Bonussystem zu ändern: „Nicht das betriebswirtschaftliche Ergebnis darf prämiert werden, sondern der Zuwachs an Fahrgästen und dessen reibungslose Bewältigung. Das aktuelle System ist ein Anreiz in die falsche Richtung aus der Zeit des Spardiktats.“

Autor/Agentur: Peter Neumann
Quelle: Berliner Zeitung
Medium: Tageszeitung
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