[ Zurück ]

Staus und schlechte Luft: Warum Berlin neue Wege gehen muss

15.01.2019

Schon jetzt sind Schienen und Straßen in der Metropolenregion überlastet. Das ist auch ein Problem für das Stadtklima in Berlin.
Berlin. Kilometerlange Staus auf der Stadtautobahn A 100 und den Zubringern sind für viele Pendler aus Berlin und dem Umland tägliches Ärgernis. Steigen sie um auf Regional- und S-Bahnen, sieht es häufig nicht viel besser aus: Fahrzeugmangel, Baumaßnahmen und die sogenannten „Störungen im Betriebsablauf“ sorgen immer wieder für Verspätungen und drangvolle Enge in den Zügen.

Es ist nicht zu übersehen: die steigenden Bevölkerungszahlen und die Urbanisierung des Speckgürtels um Berlin sorgen dafür, dass bestehende Verkehrssysteme an ihre Kapazitäsgrenzen stoßen. Ein 13. Berliner Bezirk als Antwort auf die erschöpften Flächenkapaziten in der Innenstadt müsste deshalb vor allem eines bieten – eine hervorragende Verkehrsanbindung, da sind sich Politiker und Verkehrsexperten einig.

Hunderttausende pendeln täglich zwischen Berlin und Brandenburg

Schon heute ist der Handlungsbedarf riesengroß. Rund 300.000 Menschen fahren jeden Tag zur Arbeit aus dem brandenburgischen Umland nach Berlin. In umgekehrter Richtung machen sich etwa 180.000 Berufspendler auf den Weg. Die meisten von ihnen mit der Bahn oder dem eigenen Pkw.

Nach Angaben des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB) hat sich die Zahl der Nutzer des Regionalbahnverkehrs in beiden Ländern in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt. Die S-Bahn hat seit 1999 etwa 70 Prozent an Fahrgästen dazugewonnen. Im Vorjahr beförderte die S-Bahn 1,4 Millionen Fahrgäste, Tendenz stark steigend, denn Berlin wird nach Prognosen des Senats 2030 bereits vier Millionen Einwohner zählen. Und egal, ob Berlin nun einen neuen Bezirk oder auch „nur“ neue Großsiedlungen am Stadtrand oder bereits in Brandenburg bekommt – der Nahverkehr muss ausgebaut werden.

Bislang ist man jedoch noch weit davon entfernt, gerade die für Einbindung der gesamten Metropolregion so wichtige S-Bahn immerhin wieder auf den Stand zu setzen, wie er vor dem Zweiten Weltkrieg, beziehungsweise vor dem Mauerfall bestanden hat. „Viele Strecken wurden nach dem Krieg nur eingleisig wieder aufgebaut, einige gar nicht wieder reaktiviert“, umreißt Jens Wieseke, Vorstand des Fahrgastverbandes Igeb das Problem. Das Ende 2017 von den Ländern Berlin und Brandenburg verabredete Schienen-Investitionsprogramm „i2030“ sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung. „Aber bitte jetzt nicht fünf Jahre überlegen und erst dann anfangen zu bauen“, mahnt Wieseke.

Berlin muss besser mit dem Umland verknüpft werden

Der vergangene Woche vorgestellte Wiederinbetriebnahme der Heidekrautbahn-Stammstrecke zwischen Berlin-Wilhelmsruh und Basdorf bis 2023 müssten jetzt schnell weitere Strecken folgen. Insgesamt haben die beiden Länder acht Korridore benannt, die die Hauptstadt mit dem Umland besser verknüpfen sollen. S-Bahn-Strecken wie die von Hennigsdorf nach Velten müssen wie vor 1961 wieder hergestellt werden „genauso wie der zweigleisige Ausbau der wichtigen Strecken nach Blankenfelde, Bernau oder Strausberg.“

Auch die Stammbahn-Strecke für den Regionalverkehr von Potsdamer Platz über Schöneberg und Zehlendorf nach Potsdam müsse jetzt zügig folgen. Ebenso dringend sei der Einsatz moderner Technik, konkret der automatisierte Fahrbetrieb: „Und zwar nicht, um Personal einzusparen, sondern einen schnelleren Takt anzubieten“, fordert Wieseke. In der Pariser Metro etwa ermögliche dies einen 90 Sekunden Takt. In Berlin dagegen sei manuell gesteuert nur ein verlässlicher drei-Minuten-Takt möglich.

„Das Allerwichtigste ist, dass man den öffentlichen Personennahverkehr bereits vorher plant und baut und nicht erst hinterherschiebt“, fordert der baupolitische Sprecher der CDU im Berliner Abgeornetenhaus, Christian Gräff (CDU). Und Jochen Bückmann, IHK-Bereichsleiter für Infrastruktur fordert für einen 13. Berliner Bezirk eine „Infrastruktur Plus“. Der neue Bezirk sollte Vorreiter zukunftsweisender Mobilitätslösungen sein, sagt er – und schlägt etwa vor, dass die U-Bahn nicht nur für Personen, sondern auch für Warenlogistik genutzt werden müsse.

Gedanken über innovative Transportmittel machen sich Berlins Verkehrsplaner ganz konkret bei der Nachnutzung des Flughafens Tegel, im künftigen Schumacher Quartier mit seinen mindestens 5000 Wohnungen – sowie dem ebenfalls auf dem 461 Hektar großen Areal geplanten Industrie- und Forschungsstandort „Urban Tech Republic“. „Derzeit prüft die BVG im Auftrag der Senatsverkehrsverwaltung auch die Verlängerung der U6 in das Projektgebiet von Berlin TXL hinein“, sagt Projektsprecher Hans Peter Koopmann. Auch eine Straßenbahntrasse werde geprüft. Die innere Erschließung beider Quartiere weise in die Zukunft, so der Sprecher weiter. So soll das Schumacher Quartier an den Rändern autoarm, im Innern autofrei sein.

Autofreie Wohnquartiere in der Planung

„Privater Autoverkehr wird von den Quartiersgaragen, die zugleich als Mobility-Hubs dienen, aufgenommen“, sagt Koopmann. Diese Mobility-Hubs – die Verkehrsknoten auf dem Areal von Berlin TXL – sollen als ÖPNV-Stationen, Ladezentralen für den Lieferverkehr und Leih- wie Ladestationen für E-Mobility mit Fahrzeugen und Fahrrädern dienen. Auch die Güterverteilung werde im Schumacher Quartier per Lastenrad von den Mobility-Hubs ausgehen. Taxis, Liefer- und Rettungsfahrzeuge können ins Quartier hineinfahren, doch es gibt keinen Durchgangsverkehr und – außer für Menschen mit Behinderung – auch keine Parkplätze in den Straßen.

Gleich zwei Radschnellwege werden das Projektgebiet durchziehen und sich im Schumacher Quartier kreuzen. „Eine erste Baumaßnahme dazu wird bereits 2019 auf dem Areal realisiert werden: eine Teststrecke für den künftigen Schnell-Radweg - mit einer Glas-Recyclingoberfläche“, sagt Koopmann. Auch in anderer Hinsicht soll Berlin TXL ein Modell für den Verkehr der Zukunft sein. Man werde dem ÖPNV im Projektgebiet Freihaltetrassen zur Verfügung stehen, die sowohl von autonom fahrenden Bussen als auch von Straßenbahnen oder erst zukünftig kommenden Verkehrsmitteln genutzt werden können.

Kommende Verkehrsmittel könnten etwa Seilbahnen, für die München derzeit eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben hat, sein. Oder auch „innovative Magnetbahnen“ schreibt etwa Stefan Bögl, Vorstandsvorsitzender der Firmengruppe Max Bögl im Blatt der Berliner Baukammer. Der automatische Betrieb der vom Unternehmen entwickelten Magnetbahn TSB ermögliche Taktfrequenzen von 80 Sekunden. „Eine U-Bahn kostet viermal so viel, der TSB ist nicht teuer als eine Straßenbahn“, so Sprecher Jürgen Kotzbauer. „Wir halten das von uns entwickelte System TSB für ausgesprochen geeignet, zukünftige Anforderungen an den Personennahverkehr, gerade in Berlin, zu lösen“, sagt Kotzbauer.

Autor/Agentur: Isabell Jürgens
Quelle: Berliner Morgenpost
Medium: Tageszeitung
[ Zurück ]