Pressekonferenz vom 28. Dezember 2000
Höhere VBB-Fahrpreise zum 1. August 2001 geplant.
IGEB fürchtet: Es wird nur Verlierer geben,
bei den Fahrgästen ebenso wie bei den Berliner Verkehrsunternehmen
1. Höhere Tarife = Mehr Einnahmen? Fortgesetzte Fehlkalkulation.
Seit Jahren erhofft sich die BVG durch eine Erhöhung der Tarife höhere Einnahmen. Meist vergeblich. Denn seit Jahren verliert die BVG Fahrgäste und damit Einnahmen. In den ersten neun Monaten dieses Jahres gab es zwar endlich einen leichten Fahrgastzuwachs, aber keine höheren Fahrgeldeinnahmen.
Seit einem Jahrzehnt wurden die BVG- bzw. VBB-Tarife regelmäßig, zumeist drastisch erhöht. Von 1995 bis 2000 lag die Steigerung der Tarife bei 30 %, während die Lebenshaltungskosten in Berlin insgesamt nur um rund 4 % stiegen. Die Folgen für die BVG waren stete Fahrgastverluste und damit trotz großer Tarifsteigerungen nur geringfügige Mehreinnahmen:
Jahr | BVG-Fahrgäste in Mio | BVG-Verkehrserträge in Mio DM |
1994 | 923 | 944 |
1995 | 872 | 973 |
1996 | 808 | 930 |
1997 | 779 | 1.088 |
1998 | 771 | 1.108 |
1999 | 763 | 978 |
1994-99 | - 17 % | + 4 % |
Eine BVG-Abschätzung der Fahrgastzahlen und Fahrgelderträge für die Monate Januar bis September 2000 zeigt einen leichten Fahrgastzuwachs, aber stagnierende Fahrgelderträge:
Jahr | BVG-Fahrgäste in Mio | BVG-Fahrgelderträge in Mio DM |
1-9/1999 | 573 | 586 |
1-9/2000 | 580 | 585 |
Zwei Monate nach der Tariferhöhung vom 1.8.2000 waren die Erträge also nicht höher als vor einem Jahr, obwohl die BVG Mehreinnahmen von durchschnittlich 1,8 Mio DM je Monat erwartet hatte (vgl. LPD vom 14.7.2000, Seite A11).
Fazit und Forderung
Die bisherige Tarifpolitik führt in jeder Hinsicht in eine Sackgasse.
- Die erhöhten Tarife sind sozialpolitisch fatal.
- Die sinkenden Fahrgastzahlen sind verkehrs- und umweltpolitisch fatal.
- Die sinkenden Fahrgelderträge sind finanzpolitisch fatal.
2. Tariferhöhung 2001: Wieder sollen die Stammkunden zahlen
Am 1. August 2001 sollen die VBB-Tarife erneut steigen. Die BVG spricht von 2 bis 3 %. Die bekannt gewordenen Tariferhöhungspläne sehen jedoch bei allen Tages- und Zeitkarten mit Ausnahme der Berliner Schülermonatskarte Erhöhungen zwischen 3 und 39 % vor. Das ist unverantwortlich.
Positiv sind in den Plänen für 2001 die Er-setzung des Kurzstreckentarifes durch den Kieztarif (mehr Haltestellen und Umsteigeberechtigung) und die Einführung einer Freizeitkarte, gültig abends und an den Wochenenden. Im Wesentlichen aber soll die bisherige fantasie- und erfolglose Tarifpolitik fortgesetzt werden, die sich auf das Schröpfen der Stammkunden konzentriert und keine Anreize zum Gewinnen neuer Kunden ent-hält. Zum wiederholten Male sollen die Zeitkartentarife stärker als die Einzelfahrscheine erhöht werden, so dass die Zahl der Fahrten, die man mit Einzelfahrscheinen zurücklegen kann, bevor sich die Anschaffung einer Monatskarte lohnt, erneut steigt. 1997 hatte der VBB noch vollmundig formuliert: "Die Preisbildung im Verbundtarif und die Verwendbarkeit von Zeitkarten werden so gestaltet, dass eine vermehrte Inanspruchnahme des Zeitkartentarifs durch die Fahrgäste erreicht wird." Die Realität in Berlin sieht heute anders aus:
Jahr | Einzelfahrschein Berlin (Tarif AB) in DM | Monatskarte Berlin Berlin (Tarif AB) in DM | Einzelfahrten billiger als Monatskarte in DM |
1995 | 3,70 | 89,00 | 24 Fahrten |
1998 | 3,90 | 99,00 | 25 Fahrten |
2000 | 4,00 | 105,00 | 26 Fahrten |
2001 (gepl.) | 4,00 | 109,00 | 27 Fahrten |
"Jedem Interessentenkreis bieten wir die angepassten Tickets", wirbt der VBB in seinem Faltblatt "Der Kleingruppentarif" und nennt die Zielgruppe: "Ausflügler und Touristen, Kaffeekränzchen und Familien". Doch zum 1.8.2001 soll der Kleingruppentarif ersatzlos entfallen. Verschärft wird dieser Verlust durch die gleichzeitig geplante drastische Verteuerung der Tageskarten:
Fahrkarte | Tarif heute (DM) | Tarif geplant (DM) | Veränderung (DM) |
Tageskarte Berlin AB, Erwachsener | 8,70 | 11,20 | + 29 % |
Kleingruppenkarte Berlin AB, 5 Pers. | 21,00 | entfällt | |
Tageskarte Berlin ABC, Erwachsener | 9,90 | 13,80 | + 39 % |
Kleingruppenkarte Berlin ABC, 5 Pers. | 25,00 | entfällt |
Fazit und Forderung
- Jedes Unternehmen pflegt seine Stammkunden, die Basis seiner Existenz, in ganz besonderer Weise. In Berlin aber werden Inhaber von Monats- oder Jahreskarten -nur noch als "Melkkühe" betrachtet. So gab es hier schmerzliche Kunden- und Einnahmeverluste. Künftig müssen die Monats- und Jahreskarten bei Preisen und Leistungen endlich wieder attraktiver werden!
- Bei fast allen Verkehrsbetrieben gibt es Angebote für Kleingruppen, oft sogar noch attraktiver als in Berlin. Die VBB-Kleingruppenkarte muss erhalten bleiben, nicht zuletzt als attraktives Angebot an Familien.
Berlin (und Brandenburg) sind bei den Kinderfahrscheinen beispiellos teuer, zum einen hinsichtlich der absoluten Höhe des Fahrpreises, zum anderen im Verhältnis zum Fahrschein der Erwachsenen. Berlin hat sich zur Hauptstadt familienfeindlicher Nahverkehrstarife entwickelt.
"Die besondere Situation von Familien mit schulpflichtigen Kindern ist dem Senat bewusst", teilte Verkehrsstaatssekretärin Maria Krautzberger mit und versprach, sich dafür einzusetzen, "dass im Rahmen der Weiterentwicklung des Tarifs weitere verbesserte Angebote u.a. auch für Schüler geschaffen werden" (LPD vom 26.6.2000, Seite A7). In diesem Sinne sind die Pläne, im Jahr 2001 auf Preiserhöhungen bei den Berliner AB-Tarifen zu verzichten und verbillig-te Grundschülermonatskarten einzuführen, erste richtige, aber noch vollkom-men unzureichende Schritte. Denn die Ermäßigung für Kinder ist in Berlin geringer als in fast allen anderen Städten. Einige Beispiele:
Stadt | Einzelfahrschein Erwachsener (DM) | Einzelfahrschein Kind (DM) | Ermäßigung für Kinder |
Berlin (2001 geplant) | |||
- Kieztarif | 3,00 | 2,70 | 10 % |
- Stadtgebiet (AB) | 4,00 | 2,70 | 33 % |
- Stadt/Umland (ABC) | 5,00 | 3,60 | 28 % |
Leipzig (1.7.2000) | 2,40 | 1,20 | 50 % |
Hannover (1.5.2000) | |||
- Stadtgebiet | 3,20 | 1,60 | 50 % |
- Stadt/Umland | 4,20 | 1,60 | 62 % |
- Stadt/Region | 5,20 | 1,60 | 69 % |
München (28.5.2000) | |||
- Stadtgebiet | 3,80 | 1,60 | 58 % |
- MVV-Netz | 15,20 | 1,60 | 89 % |
Wien (1.1.1999) (umgerechnet in DM) | 3,12 | 1,56 | 50 % |
Fazit und Forderung
Alle Kinder- und Ausbildungstarife im VBB müssen billiger werden! Preiswerte Tarife für die Kinder sind nicht nur familien- und sozialpolitisch, sondern auch verkehrspolitisch geboten, denn hier wachsen die Kunden von morgen heran. Die Kinder müssen lernen können, dass Bahnen und Busse nicht nur für den Weg zur Schule, sondern auch zum Einkaufen und für Ausflüge geeignet sind.
4. Alternativen zu Tariferhöhungen
Wer höhere Tarife fordert, der sollte zunächst einmal nachweisen, dass er alle Einsparpotenziale ausgeschöpft hat und dass die höheren Tarife tatsächlich zu höheren Einnahmen führen.
- Die BVG scheint im Geld zu schwimmen, denn noch immer plant sie die Ausgabe einiger 100 Mio DM, um die Berliner U-Bahnhöfe mit Zugangssperren auszurüs-ten. Die Begründung: Eindämmumg des "Schwarzfahrens", das in diesem Jahr einen von der BVG geschätzten Einnahmeausfall von rund 24 Mio DM gebracht hat. Selbst bei der Annahme, dass 50 % dieser Ausfälle, also 12 Mio DM, auf die U-Bahn entfallen, liegen die jährlichen Kosten der Zugangssperren für Abschreibung, Wartung und zusätzliches Personal um ein mehrfaches höher.
- Der Senat könnte der BVG die Einsparung von jährlich mehreren Mio DM Betriebskosten ermöglichen, wenn die Pläne zur Beschleunigung von Bus und Tram endlich alle umgesetzt würden. Erforderlich sind vor allem: mehr Busspuren, eigene Trassen bzw. auf der Fahrbahn abmarkierte Trassen für die Straßenbahn, konsequente Vorrangschaltungen an den Kreuzungen, Einrichtung von Haltestellenkaps.
- Der Senat sollte der BVG nicht länger in unternehmerische Entscheidungen hineinreden. So musste die BVG im letzten Jahr 20 neue U-Bahn-Züge von ADtranz im Wert von rund 300 Mio DM kaufen, die sie gar nicht brauchte.
- Der VBB und die Verkehrsbetriebe könnten einen Millionenbetrag sparen, wenn die Tarifveränderungen statt jährlich höchstens alle zwei Jahre stattfinden. Denn die Kosten für Vorbereitung, Abstimmung und Durchführung einer Tarifveränderung sind beträchtlich.
- Der VBB, die Verkehrsunternehmen und die verantwortlichen Politiker müssen vor jeder Tariferhöhung künftig sorgfältiger prüfen, ob die angestrebten Mehreinnahmen auch tatsächlich erreicht werden oder ob die Tariferhöhung sogar die Ertragslage verschlechtert.
Die Verkehrspolitiker, der Verbund und die Verkehrsunternehmen schulden einen Nachweis,
- dass sie Alternativen zum alljährlichen Tariferhöhungsritual umfassend und sorgfältig geprüft haben und
- dass die Politiker dabei stets auch das Ziel im Auge behalten, nicht nur die Ertragslage der Verkehrsunternehmen zu verbessern, sondern aus verkehrs-, sozial- und umweltpolitischen Gründen mehr Fahrgäste für den öffentlichen Nahverkehr zu gewinnen.
Matthias Horth Stellv. Vorsitzender
Christfried Tschepe Stellv. Vorsitzender