Pressekonferenz vom 31. Juli 2001

Erwartungen des Berliner Fahrgastverbandes IGEB an den Berliner "Übergangssenat" und Anmerkungen zu den neuen Tarifen

I. Bewertung der Verkehrspolitik des "Übergangssenates" aus Fahrgastsicht

Seit dem 16. Juni 2001 hat Berlin einen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gebildeten Senat. Nach den West-Berliner Erfahrungen von 1989 konnten die Berliner Fahrgäste hoffen, dass mit dem Regierungswechsel auch ein Wechsel hin zu einer fahrgastfreundlicheren Politik verbunden ist.

Zunächst schien sich die Hoffnung zu bestätigen. Der neue Senat verzichtete auf das Milliardenprojekt U5-Verlängerung, bei dem die Kosten für den U-Bahn-Bau in einem krassen Missverhältnis zu dem Nutzen für die Fahrgäste stehen. Doch wer gehofft hatte, dass der Senat nun auch ein Konzept vorlegt, wie die dem Land Berlin zur Verfügung stehenden Investitionsgelder stattdessen eingesetzt werden sollen, wurde enttäuscht. So ist zu befürchten, dass Berlin am Ende des Jahres - wieder einmal - Bundesgelder zurückgeben muss, die dann den anderen Bundesländern zur Verfügung stehen.

Die nächste Enttäuschung folgte, als der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit das Projekt einer Fusion von S-Bahn und BVG aus der Mottenkiste wieder hervorholte und am 13. Juli zusammen mit dem Vorstandsvorsitzenden der DB AG, Hartmut Mehdorn, eine Absichtserklärung zu dieser Fusion unterzeichnete. Der Berliner Fahrgastverband IGEB kann in einer Fusion keine entscheidenden Vorteile erkennen und bekräftigt die 1998 geäußerte Ablehnung.

Nicht nur enttäuscht, sondern sehr verärgert ist der Berliner Fahrgastverband IGEB, dass selbst kleine, relativ schnell und preiswert zu realisierende Maßnahmen wie bisher schon verschoben werden, zum Beispiel die Heranführung des Busses 133 an den S-Bf Tegel. Auf die von der Verkehrsstaatssekretärin Maria Krautzberger im letzten Jahr verbindlich zugesagte, seit Jahren überfällige Verknüpfung von S-Bahn und Busverkehr in Tegel warten die Fahrgäste noch immer. Und sie werden wohl noch weitere Jahre warten müssen, da diese Maßnahme als Folge jüngster Sparbeschlüsse nach IGEB-Informationen bereits wieder auf der Streichliste ist.

Ebenso ungeheuerlich, aber mit Auswirkungen auf noch viel mehr Fahrgäste, sind die erneuten Verzögerungen beim Bau aller neuen Berliner Straßenbahnstrecken. Es besteht also dringender Handlungsbedarf! Deshalb fordert der Berliner Fahrgastverband IGEB den Senat und die ihn tragenden Parteien auf, umgehend eine verkehrspolitische Wende einzuleiten. Auch ein "Übergangssenat" kann und muss innerhalb weniger Monate neue Akzente setzen. Der Berliner Fahrgastverband IGEB sieht hierfür vielfältige Möglichkeiten.

II. Ob Haase, Klemann oder Strieder: der Straßenbahnneubau kommt in Berlin nicht voran

Längst könnten durch die Bernauer Straße, Karl-Liebknecht-Straße und Leipziger Straße Straßenbahnen fahren. Die ursprünglichen Zeitpläne sahen dies auch vor. Doch bei den Berliner Planfeststellungsverfahren zum Straßenbahnneubau kommt es regelmäßig zu massiven Verzögerungen, unabhängig davon , ob der Verkehrssenator nun Haase, Klemann oder Strieder heißt. Es fällt schwer, dahinter keinen Vorsatz zu vermuten.

Beispiel Karl-Liebknecht-Straße. Jüngst führten Gedankenspiele über Großinvestitionen entlang der Straße, die eine Trassenverschiebung erfordert hätten, zur Aussetzung der Straßenbahnplanung. Jetzt wird ein Kostenstreit mit den Berliner Wasserbetrieben vorgeschoben, ein strukturelles Problem, dass es aber bereits seit 10 Jahren gibt. Wenn nun beide Seiten meinen, diesen Streit dieses Mal gerichtlich klären lassen zu müssen, dann könnte das Land Berlin die Verlegung der Leitungen und Kanäle ja unter Vorbehalt vorfinanzieren. Doch bei der Berliner Straßenbahnplanung wird offensichtlich weiterhin nach dem Motto gearbeitet: "Wir finden zu jeder Lösung ein Problem." Deshalb muss Verkehrssenator Peter Strieder auch über eine Umstrukturierung seiner Verwaltung nachdenken.

III. Sofortmaßnahmen - nötig und möglich

  1. Das Programm zur Verkürzung der Umsteigewege in Berlin muss endlich vorangebracht werden. Derzeit wird eine Maßnahme nach der anderen ausgeschieden, weil irgendein Bedenkenträger Einwände vorbringt. Der Senat muss endlich den Mut aufbringen, Entscheidungen zu Gunsten der Fahrgäste auch dann zu treffen, wenn sie zu Lasten des Autoverkehrs gehen. In der Verkürzung der Umsteigewege liegt das größte Potenzial, mit wenig Geld beachtliche Reisezeitverkürzungen zu erzielen.

    Einige Beispiele für überfällige und mit relativ wenig Geld realisierbare Maßnahmen:

    • S-Bf Tegel. Dass die Heranführung der Busse an den S-Bahnhof nach Jahren noch immer nicht gelungen ist, können Senat und Bezirk Reinickendorf niemandem mehr erklären. Und dass nach IGEB-Informationen nun sogar eine erneute Verschiebung auf unbestimmte Zeit droht, kann nur noch als Skandal bezeichnet werden.
    • Rathaus Steglitz. Über diesen wichtigen Umsteigeknoten zwischen S-Bahn, U-Bahn und Bus wird seit Jahren diskutiert. Doch noch immer ist die Situation für viele der Busfahrgäste unübersichtlich und wegen zu weiter Wege unattraktiv.
    • S- und U-Bf Pankow. Insbesondere das Umsteigen zwischen der S- und U-Bahn zur Straßenbahn ist für die Fahrgäste eine Zumutung. Die Vorschläge des Berliner Fahrgastverbandes IGEB für kleine Sofortmaßnahmen zur Verkürzung der Umsteigewege wurden abgelehnt mit Verweis auf große Umbauten in einigen Jahren.
    • S-Bf Baumschulenweg. Hier wären nur Haltestellenmaste zu versetzen, um das Umsteigen von und zum Bus attraktiver zu machen. Aber selbst das scheint in Berlin nicht möglich. Oder es dauert - in Lichterfelde West mussten die Fahrgäste 15 Jahre warten bzw. kämpfen.
  2. Senator Peter Strieder: "In der 2. Jahreshälfte 2000 werden die Buslinien 101, 194, X69 und 227 beschleunigt. Allein mit dieser Maßnahme kann die BVG rund drei Fahrzeuge einsparen." (LPD vom 25.4.2000) Inzwischen ist die 2. Jahreshälfte 2001 erreicht, doch die versprochenen Beschleunigungen sind noch immer nicht umgesetzt worden. Dies muss umgehend nachgeholt werden.
  3. Alle Beschleunigungsmaßnahmen haben zwei wichtige positive Effekte: Mehr Einnahmen, weil Bahn und Bus für die Fahrgäste attraktiver werden. Weniger Ausgaben, weil Fahrzeugumläufe eingespart werden können.
  4. Zur Erleichterung und Beschleunigung des Haltens und Zusteigens sind zügig Haltestellenkaps zu realisieren, die es in Berlin fast überhaupt noch nicht gibt, da der langjährige Verkehrsstaatssekretär Ingo Schmitt das den Autoverkehr in einigen Fällen kurzzeitig behindernden Halten an Kaps grundsätzlich untersagt hat.
  5. Die Straßenbahn muss an den Kreuzungen endlich wirksame Vorrangschaltungen erhalten. Die bisherigen Vorrangschaltungen sind nur halbherzig, um nur ja nicht den Autoverkehr zu beeinträchtigen, oder sie sind einfach mangelhaft ausgeführt worden. Und in der Innenstadt, im bisherigen Bezirk Mitte, gibt es bisher gar keine Vorrangschaltungen. Hierzu wird von der Senatsverkehrsverwaltung jetzt allerdings wenigstens die Ausschreibung für ein Gutachten vorbereitet, so dass die Total-Blockade beendet zu sein scheint.
  6. Dass trotz der mangelhaften Vorrangschaltungen dennoch bisher immerhin acht Zugumläufe eingespart werden konnten, ist wesentlich auf die Einführung von Blockpausen für die Fahrer zurückzuführen, das heißt, dass der Fahrer die gesetzlichen Pausenzeiten nicht mehr gemeinsam mit seinem teuren Zug an der Endstelle verbringt, sondern dass er nach vier Arbeitsstunden eine halbe Stunde unbezahlte Pause am Stück außerhalb des Zuges erhält.
  7. Zusätzlich zur Einführung der neuen Expressbuslinie X33 (Spandau - Märkisches Viertel) sollten zum Fahrplanwechsel am 17.9. auch die vorbereiteten Linien X46 (Bf Zoo - Buckow) und X67 (Potsdamer Platz - Schöneweide) gestartet werden.
  8. Das U-Bahn-Nachtnetz an den Wochenenden muss zwölf Jahre nach dem Mauerfall endlich von einem West-Berliner zu einem Gesamt-Berliner Netz ausgebaut werden. Kurzfristig, also zum Fahrplanwechsel am 17.9. oder höchstens wenig später, muss die Nachtlinie U 12 (Warschauer Straße - Ruhleben) durch Nachtverkehr auf der U 2 (Abschnitt Pankow - Theodor-Heuß-Platz) und auf der U 15 (Warschauer Straße - Uhlandstraße) ersetzt werden.

IV. Anmerkungen zu den neuen VBB-Tarifen Zu den in Berlin und Brandenburg ab 1. August 2001 geltenden Tarifen hat sich der Berliner Fahrgastverband IGEB bereits vielfach geäußert. Zu ändern sind sie nun nicht mehr. Immerhin gibt es dieses Mal auch einige Verbesserungen, vor allem mit der Verbilligung der Berliner Schülermonatskarten. Was nun können, ja müssen alle Beteiligten aus der diesjährigen "Tarifschlacht" lernen?

  1. Der Automatismus jährlicher Tariferhöhungen - zumeist deutlich über der allgemeinen Teuerungsrate - muss endlich beendet werden. Bei vielen Tarifen liegt der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg inzwischen deutschlandweit an der Obergrenze.
  2. Zu kritisieren ist auch das Datum 1. August. Durch die Lage mitten in den Sommerferien erreichen die Informationen und das Info-Material viele Fahrgäste vor ihrer Abreise noch nicht und nach Rückkehr nicht mehr.
  3. Das Streichen Kleingruppenkarte in Berlin, also eines nachgefragten und attraktiven Angebotes, noch dazu nur in einer Stadt des Verbundgebietes, ist ein unbegreiflicher Vorgang. Dieses Angebot muss zur Umstellung der Tarife auf den Euro wiedereingeführt werden.
  4. Spätestens mit der geplanten Ausdehnung des Verbundgebietes auf die Landkreise im Süden Brandenburgs einschließlich Cottbus muss eine grundsätzliche Vereinfachung der VBB-Tarifstruktur erfolgen.
  5. Der Ermäßigungstarif ("Kindertarif"), der in vielen Städten um 50 % günstiger als der Normaltarif ist, liegt in Berlin nur 33 % und im Land Brandenburg gar nur 25 % unter dem Normaltarif. Deshalb müssen die in Brandenburg viel zu teurer Ermäßigungstickets wenigstens an die Berliner Regelung mit 33 % Ermäßigung angeglichen werden.
  6. Die Zuständigkeiten für die VBB-Tarife müssen geändert werden. Das "Hauen und Stechen" zwischen den Verkehrsbetrieben zu Jahresbeginn und die Unfähigkeit der Verbundgesellschaft, die Tarifabstimmungen zu gestalten und zu moderieren, müssen die Länder Berlin und Brandenburg zum Anlass nehmen, die vertragliche Zuständigkeiten zu ändern und selbst mehr Verantwortung zu übernehmen.

Gerhard J. Curth, Vorsitzender
Christfried Tschepe, Stellv. Vorsitzender
Matthias Gibtner, Abteilungsleiter Fahrgastbelange

© Berliner Fahrgastverband IGEB e.V.