Pressemitteilung vom 27. Februar 2006
Ausbau statt Abbau!
Berliner Fahrgastverband IGEB kritisiert Planspiele der BVG für Straßenbahn-Streckenstilllegungen
Mit Verwunderung registriert der Berliner Fahrgastverband IGEB neuerliche Planspiele der BVG zur Stilllegung von Straßenbahnstrecken in Pankow (Strecken nach Rosenthal, Niederschönhausen und Buchholz) und Köpenick (u.a. Strecken nach Mahlsdorf, Wendenschloß und Friedrichshagen).
125 Jahre nach dem Start der "Elektrischen" in Berlin erlebt dieses Verkehrsmittel weltweit eine Renaissance. Aus verkehrlichen, wirtschaftlichen und umweltpolitischen Gründen haben allein in Europa in den letzten 15 Jahren mehr als 25 Großstädte sogar völlig neue Straßenbahnsysteme aufgebaut. Doch hier in Berlin, der Hauptstadt der Feinstaubbelastung, bekennen sich viele Verantwortliche bestenfalls auf dem Papier zur umweltfreundlichen Straßenbahn. Selbst der Bau hochwirtschaftlicher Strecken wie zum Alexanderplatz ("Alex II") oder zum künftigen Hauptbahnhof - Lehrter Bahnhof wird immer wieder verzögert, weil die Verkehrsplaner des Senats dem Autoverkehr Vorrang einräumen.
Anstatt alle Energie in den Ausbau des Straßenbahn-Streckennetzes zu stecken, wird nun schon wieder, wie bereits in den Jahren nach der "Wende", an Stilllegungsplänen gearbeitet. Angeblich zu niedrige Fahrgastzahlen lassen nach Einschätzung der BVG einen Ersatz durch Busse kostengünstiger erscheinen. Für einen großen Teil der zur Disposition gestellten Streckenabschnitte ist dies jedoch ein Trugschluss:
- Auf nicht wenigen der in Frage gestellten Abschnitte fährt die Straßenbahn auf einem eigenen Bahnkörper am Autostau vorbei. Busse würden hier im Stau stecken bleiben und durch längere Fahrzeiten nicht nur für die Fahrgäste unattraktiver sein, sondern auch durch erhöhten Personaleinsatz Mehrkosten verursachen.
- Die Streckenäste nach Rosenthal und Niederschönhausen sind erst vor einem Jahr zur Metrostraßenbahnlinie aufgewertet worden. Im Berufsverkehr reichen die 150 Plätze der eingesetzten Züge kaum aus, um den Fahrgastandrang zu bewältigen. Die BVG weigert sich trotz entsprechender Forderungen von Fahrgästen und der Senatsverkehrsverwaltung, hier zusätzliche Züge fahren zu lassen, weil es ihr seit Jahren nicht gelingt, die technischen für den Einsatz von Verstärkerzügen zu schaffen. Stattdessen fahren schon jetzt während des Berufsverkehrs Busse parallel.
- Der Streckenast nach Buchholz ist erst vor wenigen Jahren in die Neubausiedlung Französisch-Buchholz verlängert worden. Seitdem ist die Strecke mit 10.000 Fahrgästen am Tag nicht nur gut ausgelastet, sondern nach BVG-Standards sogar "metrolinienwürdig".
- Die Strecke nach Mahlsdorf sollte nach BVG-Vorstellungen noch vor einem Jahr wegen des erheblichen Fahrgastpotenzials ebenfalls zur Metrolinie aufgewertet werden. Lediglich weil die BVG bei der Streckensanierung der überwiegend eingleisigen Strecke in den 90er Jahren den Einbau einer Ausweichstelle versäumte, ist hier der zunächst beabsichtigte 10-Minuten-Takt noch nicht eingeführt worden, obwohl in Mahlsdorf durch kontinu-ierliche Neubebauung zusätzliche Fahrgäste gewonnen werden könnten. Noch höhere Fahrgastzahlen wären mit der Durchbindung der Strecke nach Hellersdorf möglich, wie sie im Stadtentwicklungsplan Verkehr des Senats enthalten ist.
- Auch die Strecke nach Friedrichshagen weist mit ca. 5.000 Fahrgästen am Tag eine akzeptable Auslastung auf.
- Die Beschleunigungspotenziale für die Straßenbahn sind in Berlin noch längst nicht ausgeschöpft. Nur an den wenigsten Ampeln hat die Straßenbahn eine echte Vorrangschaltung. Häufig bestehen nur Anforderungsschaltungen, die in der Regel aber mit Wartezeiten von bis zu einer Minute verbunden sind. Andere Städte machen uns längst vor, dass eine intelligente Vorrangschaltung an fast allen Kreuzungen auch ohne Beeinträchtigung des Autoverkehrs möglich ist.
- Begründet wird die mögliche Einstellung der Straßenbahnstrecken seitens der BVG auch mit der notwendigen Neubeschaffung von Straßenbahnzügen, sobald die Anfang der 90er Jahre modernisierten Tatra-Züge abgeschrieben sind. Die BVG legt jedoch für die neu zu beschaffenden Züge zu hohe Standards fest (z.B. 100 %-Niederflurfahrzeug), womit preiswerte Neuanschaffungen, wie z.B. In Leipzig oder Dresden praktiziert, in Berlin ausgeschlossen werden und damit die Wirtschaftlichkeitsschwelle für den Betrieb von Straßenbahnen unnötig hoch gelegt wird.
- Bei einer seriösen Bewertung des Straßenbahnnetzes sind auch die stadtplanerischen Entwicklungspotenziale entlang der Strecken einzubeziehen. Insbesondere die Strecken in den Außenbezirken weisen hier die größten Wachstumspotenziale auf.
Das Berliner Straßenbahnnetz ist in den letzten 15 Jahren für viel Geld modernisiert worden. In den nächsten 15 Jahren müssen nun durch Ergänzungen und Lückenschlüsse die Folgen der Berliner Teilung und einer zu autofixierten Verkehrsplanung überwunden werden, anstatt ganze Teilnetze, noch dazu in Gebieten mit Einwohnerzuwachs, stillzulegen.
Christfried Tschepe
Vorsitzender
Matthias Horth
Stv. Vorsitzender